Ob in Gestalt transnationaler Politik, globaler Ökonomien, neuer
Technologien oder urbaner sozialer Bewegungen: Netzwerke sind zur mächtigsten
Figur geworden, über die wir die Organisation unserer Welt denken.
Netzwerke haben die Formen kulturellen Zusammenlebens und Kommunizierens
ebenso verändert, wie die Art in der wir Räume produzieren und
erfahren.
In Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen ist aus dem Kunst- und
Architekturschaffen der letzten Jahre eine neue Form von Praxis hervorgegangen,
die sich auf kollektives Produzieren, prozessgeleitetes Arbeiten und ein
Agieren in transversalen Projektplattformen stützt. Eine solche ‚disziplinlose’
Praxis der unaufgeforderten Einmischung in räumliche Zusammenhänge
macht das dysfunktionale Regelwerk geplanter räumlicher und kultureller
Beherrschung lesbar und spannt eine Bahn auf, die inmitten der politischen
Bemühungen dieses Versagen zu verbergen, neue Formen der Zirkulation
erzeugt. Sie nimmt existierende Netzwerke in Gebrauch, erweitert und verändert
sie, lässt neue Kreisläufe entstehen und skizziert damit eine
mobile Geographie der selbstbestimmten Inanspruchnahme von Raum und Kultur.
Die Ausstellung Networked Cultures will diese Entwicklung
weder als eine geschlossene Bewegung darstellen noch innerhalb der Besonderheiten
eines bestimmten geographischen oder institutionellen Kontexts lokalisieren.
Viel mehr interessiert uns ihre Nähe zu einer Fülle anderer
selbstautorisierter Strukturen, egal welchen Maßstabs – jene
von Graumärkten, informellem Handel, alternativen Ökonomien
und migratorischen Praxen ebenso wie die unzähligen nebensächlichen
und schwer wahrzunehmenden Versuche von selbstbestimmter Soziabilität
inmitten der globalen Umgestaltung unserer Lebensräume. www.networkedcultures.org
SAHARA CHRONICLE | 2006-2007
Videokollektion zu Mobilität und Grenzpolitik in der Sahara
Video (23 min.) und Kartographie
Sahara Chronicle umfasst eine Reihe kurzer Videos zur
gegenwärtigen schwarzafrikanischen Abwanderung Richtung Europa. Mit
Blick auf die Modalitäten und Logiken des Migrationssystems in der
Sahara untersucht das Projekt die Politik der Mobilität, Sichtbarkeit
und Begrenzung, die im Zentrum heutiger Geopolitik steht.
Das Material stammt aus drei Forschungsreisen zu wichtigen Eintrittstellen
und Knoten des transsaharischen Netzwerks in Marokko, Mauretanien und
Niger, wo migratorische Intensität gebündelt wird. Es gibt in
Sahara Chronicle keinen Begleitkommentar, der diese Geschichten zu einer
Gesamterzählung reiht; die Bedeutung ergibt sich aus den Zwischenräumen
dieser Dokumente, aus der Spanne der Reise, die für das Auge höchst
unsichtbar ist.
In ihrer losen Vernetzung und weit ausgedehnten Geographie ist Sahara
Chronicle selbst eine Widerspiegelung des Migrationsnetzwerks. Die Arbeit
enthält Aufzeichnungen zu Agadez in Niger, Hauptstadt der Tuareg
und Eintritt zum Sahara Becken der Haupt-Migrationsrouten aus Westafrika;
Nouadhibou, dem nördlichen Hafen von Mauretanien an der Grenze zur
Frente Polisario/West-Sahara, von wo MigrantInnen per Boot zu den Kanarischen
Inseln aufbrechen; und Laayoune in der West-Sahara, Abfahrtsort von Booten
Richtung Spanien.
KARTOGRAPHIE
DER STRASSE VON GIBRALTAR | 2004
Kartographie von hackitectura.net el al.
Hackitectura.net ist eine Gruppe von Architekten, Programmierern
und Aktivisten in Sevilla, Spanien, deren Arbeit sich mit der Schaffung
von Räumen und Infrastrukturen der Teilnahme und Verbundenheit auseinandersetzt.
Ihre performative Kartographie der Straße von Gibraltar präsentiert
alternative Sichtweisen der Grenzregion zwischen Europa und Afrika: eine
Karte ‚imperialer’ und ‚multitudinaler’ Ströme
in Zusammenschau mit einer strategischen/taktischen Karte zu sozialen
und geopolitischen Netzwerken und ihrem gemeinsamen politischen Projekt
der kommenden Jahre.
Die Karte ist ein Kommunikations- und Arbeitsmittel, das von einem breitgefächerten
Netzwerk rund um Indymedia Estrecho – einem Aktivismus- und Mediennetzwerk
zum ‚entgrenzten’ Gebiet zwischen Westeuropa und Afrika –
erstellt worden ist.
Judith Augustinovic beschäftigt sich mit den räumlichkörperlichen
Verwicklungen von (S)ex, Trans/Gender, Sexualität und Intimität,
deren geografischen Verortungen sowie narrativen Einschreibungen. Ihre
Installation Skinship N°1 – Hautnah zeichnet eine Kartographie
über Luana Muniz, Travesti, Rio de Janeiro.
Eu sou travesti. O travesti em si é uma invenção
artística. A travesti é pura arte.
Die vestimentäre Serie ist ‚hautnahes’ Portrait von Luana
Muniz: Travesti und Bürgerin, Prostituierte und Mãe, Aktivistin
und Showgirl, Boutiquenbesitzerin ... Inspiriert von der Schürze
als ambivalentes, teils anachronistisches, symbolisches wie intimes, sexuiertes
und sexuelles Kleidungsstück, produziert die Kollektion eine Momentaufnahme
der Transformation des Körpers sowie der parallelen Identitäten
der Luana Muniz.
Sie zeichnet Bild um Bild das Portrait von Luana Muniz und deren Räumen
und lässt aufgrund der hängenden Reihung virtuell und metaphorisch
einen geheimen Raum entstehen: the Closet. Die Inversion des out of /
beyond the Closet bringt uns into the Closet, mitten in die egozentrische
Territorialität der Kleidung – Teil und Ergänzung, Ausdehnung
und Präsentation des Körpers – und geht als Nomadic Closet
auf Reisen. Als kontinuierlich grenzüberschreitendes Konstrukt verweist
er auf die Bewegung außerhalb heteronormativer Territorien, die
losen Bande selbstdefinierter Netzwerke und die Migration Luana Munizs
über Staatsgrenzen bei ihren ausgedehnten Arbeitsreisen nach Europa.
NETWORKED CULTURES | 2007
VIER VIDEOS ZU KULTURELLEN UND RÄUMLICHEN NETZWERKPRAKTIKEN
Video, Kapitel:
Network Creativity, 25 min.
Contested Spaces, 24 min.
Trading Places, 25 min.
Parallel Worlds, 31 min.
Die weltweiten Bewegungen von Bevölkerungen, die allerorts aufkeimenden
sozialen Mobilisierungen und die sich ständig verändernde Gestalt
der neoliberalen Ökonomie sind Kernkräfte einer neuen Weltordnung,
in der wir alle zu jeder Zeit herausgefordert sind, Realität zu verhandeln
und Ausmachungen zu treffen. Bei dem, wie wir unsere Umwelten inmitten
dieser Auflösung von tradierten Ordnungen einnehmen und gestalten,
bekommen der Zugriff auf Netzwerke und das Entwickeln von Verbundenheiten
immer mehr Gewicht: Welche Form eine solche Verbundenheit aber haben soll,
ist nicht nur eine Frage theoretischer Natur, sondern vor allem eine Frage,
die uns auf jene selbstinduzierte Vielfalt von Räumen hinweist, die
von Verbundenheiten in aller Welt laufend produziert wird und dabei unseren
eigenen Verhandlungsraum verändert und immer wieder neu entstehen
lässt.
Der Film Networked Cultures befragt die Bedeutungen dieses
Wandels zusammen mit den Bedeutungen von künstlerischem, architektonischem
und kulturellem Engagement in diesen Dynamiken. Er verfolgt eine Reihe
von Bahnen, entlang denen sich das Projekt Networked Cultures entwickelt
hat: zunächst das Phänomen einer Netzwerkkreativität, das
von den Routen von KünstlerInnen, ArchitektInnen, UrbanistInnen,
AktivistInnen und TheoretikerInnen skizziert wird. Der dabei aufgespannte
Schauplatz markiert eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von
Raum und Konflikt und führt zu einer Untersuchung von Konflikträumen
quer durch Europa. Ihr Modus Operandi verweist auf Fragen von Gouvernementalität
und Selbstregierung, die über Arenen wie Schwarzmärkte, informelle
Siedlungen und die sie begleitenden Parallelökonomien verhandelt
werden. Vor dem Hintergrund dieser globalen Realitäten werden die
Parallelwelten von Mobilität und Migration, nomadische Gemeinschaften,
digitale Welten und andere Gegengeografien in Bezug auf eine mögliche
Politik der Verbundenheit und einen sich abzeichnenden ‘Archipel
der Peripherien’ diskutiert.