Bal: Das stimmt sicher ... die Aufgabe ist ganz und gar nicht einfach. Wie ich bereits kurz erwähnt habe, möchte ich durch jedes einzelne Projekt unterschiedliche kreative Praktiken zeigen, die sich alle mit der kontinuierlichen Erforschung zeitgenössischer Kunst auf der Suche nach neuen Umrissen möglicher Praktiken befassen. Jedes Projekt zeichnet dabei verantwortlich für neue Erörterungen, die zur Diskussion gestellt werden. Anders als andere kleine oder größere Einrichtungen in Wien bietet Open Space einen Ort zur Erkundung des Raumes aktueller Verhältnisse, verbunden mit einem generativen Arbeitsablauf und vergänglicher Charakteristik. Diese Sachverhalte und die gegenwärtigen Bedingungen in der Kunst berücksichtigend, werden die im Open Space präsentierten Arbeiten in multi-/transdisziplinären Konstellationen aus Installationen, Video, Performance bis hin zu einer Internetplattform präsentiert: Werke, die auf dem Internet basieren. So lassen sich einige spezifische und richtungsweisende Eigenschaften identifizieren, welche die Eigenheit eines Projekts innerhalb von Modellen, die in viele Richtungen weisen, ausmachen, also die sich „rhizomatisch“ verhalten. Und wir beginnen wirklich ganz am Anfang.
SA: Wie können transgressive Praktiken – soziale und künstlerische – zur gleichen Zeit wie große, bedeutende Kulturstrategien jetzt in der globalen Krise existieren?
GB: Sicher gehört diese Frage zu den Themen, die es näher zu beleuchten lohnt. Vor allem aus dem Grund, weil sich eben derzeit alles hin zu den Transformationen von Bevölkerungspolitiken und der Politisierung des Lebens entwickelt.
SA: Open Space zeichnet sich seit seiner Gründung als operatives System dadurch aus, dass es verschiedene kreative Praktiken zusammenführen und ein reales und/oder virtuelles kollaboratives Forum schaffen sowie Räume öffnen will, um gemeinsame Projekte zu ermutigen. Was ist Open Systems heute? Und welche Veränderungen hast du in der kuratorischen Ausrichtung und der Projektplanung seit 2010 initiiert?
GB: Mit dem Programm von Open Space, das drei Jahre lang anerkannte internationale Ausstellungen und Events zeigte, bot ich ein Labor-Environment, das aus zeitgenössischer, kreativer Praxis entstanden war. Unser Programm für bildende Kunst und Kunstvermittlung bot Diskurse internationaler Dialoge und Kompetenzen an. Jedes Jahr haben wir dem Ausstellungsort ein anderes Rahmenthema gegeben: Open Space – Mapping Contemporary Creative Practice (Prog. 2008); Open Space – What is Possible in Creative Practice (Prog. 2009); Open Space – What is Possible in the Political Potentiality (Prog. 2010). Alljährlich erscheint zudem ein Jahrbuch, welches nicht nur alle Projekte des betreffenden Zeitraums beinhaltet, sondern auch zusätzlich kritische/theoretische Essays enthält, damit ein anderes, wenn nicht sogar besseres Verständnis einer essenziellen geopolitischen Haltung möglich wird, bei der eine politische Position und eine bestimmte kreative/künstlerische Agenda neue Potenziale schaffen. Die Stadt Wien – Kulturabteilung MA 7 verlieh uns einen Preis, welcher die hervorragende Programmpräsentation in Wiener Galerien auszeichnet. In Anerkennung der Leistungen seiner Aktivität und in Anbetracht des beträchtlichen Engagements für zeitgenössische Kunst entschlossen sich die Jury-Mitglieder, Open Space im November 2010 einen Hauptpreis zuzuerkennen. Dieses Engagement zeigt sich in der Produktion von Begegnungen aus verschiedenen Orten und bringt verschiedene Gedankenformen zusammen. Ich habe mich als Initiatorin und Gründungsdirektorin dafür entschieden, die Organisationsstrukturen zu verändern. Damals, im Januar 2011, operierte der Kunstraum noch als Open Space, Open Systems. Wir publizierten danach zum ersten Mal eine ,offene Ausschreibung’, indem wir diese transformativen Verbindungen in unser Programm von 2012 übertrugen und uns somit wirklich in den Bereich des OPEN bewegten, der zu pluralistischen Ansätzen führte. Nach dem Übergangsjahr mit dem Programm von 2011 haben wir ab 2012 als Open Systems unter der aktiven Beteiligung eines Beratungsgremiums operiert … Das Beratungsgremium bestand aus Susanne Lummerding, Elisabeth Mayerhofer, Suzana Milevska, Helge Mooshammer, Peter Mörtenböck, Nada Prlja und Walter Seidl.
SA: Wohin wird dich und Open Systems dein Netzwerk-Projekt führen?
GB: Also ... „hier geht es um eine spezifische Konjunktion der neuen Umrisse des Möglichen, wo das ‚Nirgendwo‘ durch vielfache Eingänge und Ausgänge auf die etablierte Karte trifft“, so habe ich es irgendwo ausgedrückt.
SA: Welche Fragen stellst du, welche Themen berücksichtigst du bei deinem Ansatz zur Problematik der kulturellen Identität? Reicht das sogenannte kollektive Gedächtnis auch über kulturelle Grenzen hinweg? Auf welche Weise? Ich denke hier zum Beispiel an die neuen Projekte wie „State of Transit“ und „Mapping Mobilities“, die Open Systems vor Kurzem gezeigt hat.
GB: „Eine ,Karte‘ oder ein ,Diagramm‘ ist ein Set verschiedener interagierender Linien“, welche räumliche Metaphern an einem Ort von Situationen und Events darstellen. Subjektivität existiert als ein Territorium und sie bringt sich selbst durch multiple Verbindungen hervor, indem sie sowohl psychische wie auch soziale Orte für sich absteckt, während sie Teil vielfältiger Produktionsnetworks ist. Es existiert ein erkennbarer Ansatz hin zum Konzept der Souveränität, der die derzeitige politische Konstruktion im Sinn der Biopolitik stützt, besonders was die „Transformationen der Bevölkerungspolitiken“ und die Politisierung des Lebens anbelangt. Ein besonderes Element der Begegnung, welche zu einer Verbreitung nicht nur der Formen, sondern auch der Modalitäten innerhalb der kreativen Praxis führt, hat Brüche in „existenziellen Territorien“ zur Folge. Der Raum aktueller Verhältnisse ist daher von einer immanenten Reifikation betroffen. Seine entscheidende oder kritische Bedeutung für diese Analyse liegt in den Prozessen der möglichen Subjektproduktion. Dies scheint allerdings unerreichbar zu sein; denn ein ungewisser Übergang „kann als ein Territorium definiert werden, das in der Lage ist, sich zu bewegen und nicht auf geografische, nationale und kulturelle Grenzen beschränkt ist; [jedoch] ein Territorium ist, das seinen eigenen begrifflichen Raum realisiert”. Es lohnt sich jedoch, eine damit verbundene, gedankliche Linie weiter zu verfolgen, um die kulturellen Objekte zu identifizieren. Im Hinblick auf sein Konzept setzte „State of Transit”, das wir direkt vor „Mapping Mobilities” zeigten, einen Schwerpunkt auf die traurigen Ereignisse der Kolonisation und die daraus resultierenden Dekolonisationsprozesse, bei denen territoriale Auseinandersetzungen und politische Konflikte die enormen Widersprüche hervorbringen, für die das Mittelmeer steht. Das KuratorInnenteam des Projekts, Frida Carazzato & Maria Garzia, hinterfragten sowohl persönliche wie kollektive Identitäten; denn sie glauben beide, dass die Geschichte eine entscheidende Rolle für die Bestätigung der speziellen Eigenheit des Mittelmeers spielt. Wir haben fünf künstlerische Positionen gezeigt; barbaragurrieri/group, Taysir Batniji, Esra Ersen, Mario Rizzi und Zineb Sedira, welche – basierend auf dem Übergangsstatus, der die fragliche Region immer charakterisiert hat – einen Teil ihrer Forschung dem mediterranen Bereich und seinen Dynamiken von Mobilität widmeten. Im Rahmen der Ausstellung „Mapping Mobilities“ lud die Projektkuratorin Christine Takengny Michael Hieslmair / Michael Zinganel, Gulnara Kasmaieva / Muratbek Djumaliev und Esther Polak / Ivar van Bekkum ein. Die Ausstellung präsentierte neue und experimentelle Ansätze, mit denen Fragen rund um das Thema der Mobilität, der Dislokation und Migration erkundet wurden. Diese bezeichnen den Übergangsraum, der die Routen bestimmt, die per se genommen werden, wobei sich die Kuratorin allerdings mehr dafür interessierte, wie die Globalisierung unsere Erfahrung des Raums dramatisch verändert hat. Genau hier spiegelt die statische, zwei-dimensionale Karte nicht mehr adäquat die sich ständig verändernde Welt, in der wir leben, und die globalen Netzwerke, welche die Erfahrung des Migratorischen produzieren.
SA: Ich würde mich sehr gern über eines der jüngsten, von dir im Open Systems kuratierten Projekte unterhalten, über „It’s in the ,can‘“. Du hast hier ein sehr kompliziertes und gleichzeitig grundlegendes Thema ausgewählt, und zwar das kritische Potenzial zeitgenössischer Kunst und die Erforschung des Konzepts von Macht, wie es im „can“ ausgedrückt ist. Könntest du bitte den problematischen Raum definieren, „in dem sich die Frage des Politischen innerhalb der kreativen Praxis stellt”?
GB: Ich freue mich, dass du darauf zu sprechen kommst. An diesem Punkt generiert Kultur, im Sinne von Praktiken, die Seinsweisen repräsentieren, auch Widerstandskräfte gegen die Homogenisierung. Strategisch definierte sich das Projekt an der Rolle der Kultur bei der Bestätigung des Spezifischen und des Lokalen, des Begrenzten und lokal Verorteten als Quelle weiterer Verbreitung. In Nova Zvjezda (New Star), zum Beispiel, holt Sanja Iveković die kollektiven sozialen Codes symbolischer und realer Repräsentationen an die Oberfläche. Dies ist mit einer weiteren Frage verbunden: Was genau sind die Gegenstrategien zu globalisierten Kräften, die einen exzessiven Rückgang der Abgrenzungen zwischen geopolitischen und wirtschaftlichen Bedingungen bewirken, in die wir die neuen künstlerischen Kapazitäten platzieren? Und dieser Rahmen, der Ort, an dem die Einzelne Stellung bezieht, ist eben eine Reflexion in Form des kritischen Hinterfragens, beispielsweise wenn wir die Praxis der Künstlerin als „zutiefst politisch engagiert und historisch relevant damals wie heute“ betrachten. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass dieses besondere Werk in Wien zum ersten Mal gezeigt wurde, dank Kontakt, der Kunstsammlung der Erste Group und der ERSTE Foundation. Christine Schörkhuber will dagegen in ihrer speaking walls Installation in Budapest die Politik, soziale Struktur, Kultur und Lebensweise im zeitgenössischen Ungarn reflektieren. Kamen Stoyanov ermöglicht uns in seiner Arbeit Guys, this is not LA, but it is a cool place too!, uns mit einem Raum auseinanderzusetzen, der die Übergangsbedingungen und -bewegungen der augenblicklichen Geopolitiken genauso wie kulturelle Veränderungen bezeichnet, die genauso grundlegend wie offensichtlich unseren realen Alltag bestimmen. Hollow Land ist ein Kunstprojekt des mazedonischen Künstlers Yane Calovski, das er während seines ersten Aufenthaltes auf IJburg entwickelte. In einem Augenblick der Veränderung aufgenommen, noch mit unvollendeten und noch nicht fixierten Strukturen identifizierbar, könnte der Ort IJburg leicht als Film-Set dienen, in dem die gesamte Produktion abliefe, ohne die ,Normalität’ des schon existierenden Lebens zu stören. Das Thema dreht sich um die Möglichkeiten, eine selbst-reflexive Antwort zu provozieren, wie dies in Heba Amins Videoarbeit geschieht. Dieses experimentelle Video Voices from the Revolution präsentiert ausgewählte speak2Tweet Botschaften kurz vor dem Fall des Mubarak-Regimes am 11. Februar 2011 und stellt diese in einen Dialog mit den aufgelassenen Strukturen, welche die langandauernden Auswirkungen einer korrupten Diktatur repräsentieren. Der Film versucht, die herbe Realität des physischen Zustandes der Stadt darzustellen und befasst sich mit der Rolle der urbanen Infrastruktur für das Auslösen von Unruhen unter ihren EinwohnerInnen. Bei diesen Projekten werden die kritischen Momente einer Pluralität der Problemstellungen zu einer Haltung, bei der sich nun die Frage nach dem Politischen innerhalb der kreativen Praxis stellt. Dies signalisiert für mich die Möglichkeit einer neuen Art der Politik, die sich vorrangig mit den Umrissen und Grenzen „des Möglichen” [the can] befasst.
SA: Welche Rolle spielen Kulturorganisationen bei den Projekten von Open Systems?
GB: Die obige Analyse führt zur Konstruktion neuer Konzepte in kreativen Prozessen, die immer einen offenen Raum oder eine Multiplizität von Ebenen innerhalb differenzieller Strukturen darstellen. Und wir bewahren uns noch immer diese lautstarke Position, die auf den speziellen Attributen von Open Space mitten in einer Spiegeldisposition basierte. Hier wird deutlich, wie diese Felder kritischer Untersuchung untereinander verbunden sind und zur Entwicklung von Kunstpraktiken in Produktionsräumen verwendet werden können. Genau in diesem Kontext liegt auch unsere Aufgabe, bei der die Praxis zu einem Modus der Verbreitung und Aktivierung von Ideen und Herausforderungen unter gegebenen Umständen wird.
Dieses Interview wurde zum ersten Mal im SUCCOACIDO MAGAZINE veröffentlicht, einem alle zwei Monate erscheinenden Magazin für zeitgenössische Kunst aus Palermo (Italien): Ausgabe #20 – September / Oktober 2012.
Siehe: http://www.succoacido.net/currentissue.asp
[1] Übersetzung der markierten Passage Stefan Kirmse.
Costanza Meli ist Kunsthistorikerin, unabhängige Kuratorin, Autorin und Herausgeberin. Seit 2004 führte sie mit Barbara D’Ambrosio ein Projekt über zeitgenössische Kunst und territoriale Kultur (progretto isola) in den Städten Isola delle Femmine und Piana degli Albanesi in der Provinz Palermo (Sizilien) durch und schuf dort Aufenthaltsprogramme für KünstlerInnen und ein Projekt für öffentliche und private Interventionen. Seit 2007 ist die Präsidentin der Kulturvereinigung Isole. Zwischen 2004 und 2009 hat sie mit Texten zu zahlreichen Katalogen und Monografien über italienische KünstlerInnen und öffentliche Kunst beigetragen. Als Verlegerin ist sie derzeit Gründungsm itglied des Verlags Edizioni De Dieux mit Marc De Dieux, bei dem sie für die Serie Quaderni d’arte, Monografien für italienische und europäische zeitgenössische KünstlerInnen, sowie für die Kunstektioni des SucoAcido Magazins verantwortlich zeichnet.