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grafisches Element

Burroughs rot, morgen tot

Barış Acar »


Die Ausstellung „Cut-ups, Cut-ins, Cut-outs” in der Kunsthalle Wien vom 15. Juni bis 21. Oktober 2012 hätte eine Gelegenheit darstellen können, sich mit Burroughs Hilfe über die Beziehungen zwischen Literatur – Collage und bildnerischen Werken Gedanken zu machen.

Die Ausstellung setzt einen Schwerpunkt auf William S. Burroughs künstlerische Auseinandersetzung mit bildender Kunst und will diesem relativ unterschätzten Vertreter der Beat Generation durch seine Collagen zu einer Neubewertung verhelfen. Einerseits zeigt sie Erstausgaben seiner Bücher, Fotografien und Videos, die noch zu Lebzeiten des Künstlers entstanden, sowie Audio-Aufnahmen von Burroughs, die durch ihre Dokumentation Erinnerung schaffen. Auf der anderen Seite werden Zeitungs-/Magazinartikel des Künstlers und Collagen aus Fotografien und beigefügten Anmerkungen präsentiert, sowie Gemälde, auf die in den 1990er Jahren geschossen wird.

Picasso und Braque brachten die Malerei durch ihre Art von Vitalismus in Bewegung. Da dieser künstlerische Schritt die Frage der Unverzichtbarkeit der Perspektive in der Kunst der Malerei aufwarf, habe ich Collage in früheren Arbeiten als „in sich selbst verschränkte Sichtbarkeit“ bezeichnet. Nur mit der Technik der Collage war es möglich, mit der „Geschwindigkeit“ dieses letzten Jahrhunderts Schritt zu halten. Daher musste sie einfach damit aufhören, Dinge mit dekorativen oder skizzenartigen Mustern zu erklären, die an ihre traditionellen Wurzeln erinnern.

Die wichtigste Eigenschaft von Burroughs’ Cut-ups besteht in ihrer Aussage über die Natur der „Sichtbarkeit”. All jene, die versuchen, Geschichten aus den Collagen abzuleiten, oder die Geschichten verschiedenster Art in Begleitkatalogen erzählen, sind auf dem falschen Weg. Ich würde diese Cut-ups eher als Arten und Weisen des Auges betrachten, Notizen zu machen. Zumindest glaube ich, dass genau dies Burroughs eine Zeitlang auch selbst im Sinn hatte. (Ganz sicher aber nicht sein gesamtes Leben lang. Ich hoffe, dass ich diesen Aspekt zum Ende des Aufsatzes noch klären kann.)

Kuratiert von Colin Fallows und Synne Genzmer setzte die Ausstellung mit der Position der Beat Generation in der Literaturgeschichte und im Avantgardismus der 1960er Jahre ein. Burroughs’ Stellung in diesem Spektrum wurde in Frage gestellt. Auch wenn die Ausstellung den Gegensatz zwischen der Formalität der Organisation/Einführung und der Indifferenz seines Objekts nicht überwinden konnte, schien sie doch eine berechtigte Fragestellung zu verfolgen. Oder um es einfacher zu sagen: Wo genau können wir Burroughs zwischen den Dadaisten der 1920er Jahre und den Praktiken zeitgenössischer Kunst in den 1960er Jahren einordnen? Gibt es überhaupt so einen Platz? Lohnt sich wirklich der Aufwand? Benjamin H:D. Buchlochs Fragestellung in seinem Artikel „Formalism and Historicity“ von 1977 war mehr als treffend: “Why did Rothko and Newmann, Still and Pollock, Gorki and de Kooning not choose Duchamp and Picabia, Man Ray and Tzara, Arp and Schwitters as source of information at that time?” Die Antwort liegt nicht in der Spannung zwischen Paris und New York begründet, sondern, wie es Peter Bürger betonte, in den unterschiedlichen Identitäten, welche die Avantgarde-Utopie nach dem 2. Weltkrieg annahm.

William S. Burroughs

Brion Gysin, William S. Burroughs, Gefahr, Paris 1959, The Barry Miles Archive



William S. Burroughs

William S. Burroughs, Brion Gysin, Ohne Titel (S. 155), circa 1965, Los Angeles County Museum © Estate of William S. Burroughs



William S. Burroughs

William S. Burroughs, Brion Gysin, Ohne Titel (S. 130), circa 1965, Los Angeles County Museum © Estate of William S. Burroughs

Wenn wir uns die Authentizität des Geistes bewusst machen, für den Burroughs steht, wird die Frage beantwortet. Burroughs entschied sich dafür, wie das Alter Ego eines wirklichen Dadaisten zu leben, dem es sehr wichtig war, unbekannt zu bleiben und dem dies auch gelang. Unter Drogeneinfluss schreibt sein Gehirn Bildern Wörter zu; so verwandelt er vielleicht absichtlich gleichzeitig das Linguistische in das Sichtbare. Obwohl irgendwie übertrieben, bestätigt seine Bemerkung, dass er sich darüber unbewusst gewesen sei, was er schrieb, diese Allegorie. Nicht nur die Themen seiner Romane, sondern auch die Komposition seiner Cut-ups führen uns zu der Behauptung, dass es unmöglich ist zu sagen, ob er schreibt, was er sieht oder ob er visualisiert, was er schreibt.

Durch ein elegantes Zitat aus Naked Lunch wird dieser Kreis geschlossen: „Geneigter Leser, die Abscheulichkeit des Spektakels spottet jeder Beschreibung. Wer kann schon ein kriecherischer Feigling sein, der sich vor Angst bepisst, gleichzeitig aber bösartig wie ein purpurärschiger Mandrill, und dann noch zwischen diesen beiden schändlichen Zuständen hin und her springen wie von einer Vaudeville-Nummer zur anderen? Wer kann auf einen sterbenden Gegner scheißen, und der frisst die Scheisse mit Freudengeheul? Und wer einen Schwächling aufknüpfen und dann mit offenem Maul nach dessen Sperma schnappen wie ein tollwütiger Hund? Geneigter Leser, wie gern würde ich dir all dies ersparen, aber meine Feder ist so unbelehrbar wie der Alte Seefahrer. Mein Gott, was für ein Schauspiel! Welch Zunge oder Feder vermag diese schändlichen Taten zu schildern? En gemeiner junger Rowdy hat seinem Mitstreiter ein Auge ausgestochen und fickt ihn ins Gehirn. ,Völliger Gehirnschwund, und trocken wie die Fotze meiner Großmutter‘.[1]”

Die Collagen beinhalten Nachrichtenberichte, von Burroughs aufgenommene Fotos, Kritzeleien, Diagramme, Bilder aus einem Fotoroman, einen mit Kohle gezeichneten Mann, dessen Mund mit Wörtern aus der Schreibmaschine verdeckt ist. Die Essenz der „Cut-ups” ist vielleicht ein ärgerlicher Mann an einem Heidelberger Offset-Drucker, der sich über die Druckschleife beugt und versucht, die Schneidemarken einer Fotografie zu verbergen, die zwischen Wörtern steckt, der aber gleichzeitig ungeduldig auf das Ende seiner Schicht wartet. Oder um es einfach zu sagen, ein fotografierter Satz aus Wörtern. Das Porträt dieses Mannes ist wichtig für die Kunstgeschichte, denn es gehört zu einer bereits montierten Tatsächlichkeit und präsentiert verschiedene, sich überschneidende Realitäten.

Entlang der Entwicklung der Avantgarde-Kunst von Duchamp bis Andy Warhol und deren späterer Verzweigung in Hunderte von Ausrichtungen neigen KennerInnen der plastischen Künste dazu, die Literatur zu meiden, um nicht das Vergehen der „Ekphrasis“ zu befördern. Der Grund liegt darin, dass sich eine Stilgeschichte viel einfacher schreiben lässt, wenn das Äußere der Form übersehen wird. Genau an diesem Punkt stolpert auch die Ausstellung. Wenn wir eine typische „Falle” der Kunstgeschichte umgehen wollen, sollten wir Burroughs’ Arbeiten aus den 1960er Jahren von jenen der 1990er Jahre trennen. Die Ausstellung in der Kunsthalle tut jedoch genau das Gegenteil. Warum werden Arbeiten mit „Mischtechnik” im letzten Raum der Ausstellung gezeigt, welche sich doch scheinbar auf Collagen konzentriert hatte? Besonders jene Sperrholzbretter, auf die Repetiergewehre abgefeuert werden. Genau hier kommen wir wohl oder übel zur Kunsthistoriografie zurück. Diese Initiative, die Menschen dazu einlädt, den Künstler in seinem eigenen historischen Kontext zu verstehen, verliert plötzlich ihren gesamten Bezug zur Collage. Indem sie den Prozess der Veränderung auslöscht, lässt uns die Ausstellung mit einem Burroughs zurück, der aufgegeben hat, Burroughs zu sein. Als geschähe dies aus einer moralischen Verpflichtung heraus. Wir sind mit einem Derivativ konfrontiert, das Anti-Drogen-Reden hält und sein Einkommen damit verdient, auf uralte Wände mit einem nur allzu bekannten Gewehr zu feuern. Entweder macht er sich über uns lustig mit etwas, das unser Verständnis übersteigt, oder er hat sich in eine Nachbildung verwandelt, die eine unvorstellbar alte Vergangenheit mit einer Schrotflinte zu verteidigen versucht. Er ist nicht gefährlich, seit er seinen Pfeil und Bogen weglegte, mit denen er William Tell spielte. Korridore der Kunstgeschichte führen uns zur Abwesenheit des Künstlers.

Die Kunstgeschichte ist eine Initiative, die Schönheit historisiert und „in Ketten legt“ – wenn wir noch immer das Recht haben, darüber zu reden – anstatt diese zu erkennen, wie sie ist. Sie löscht den/die KünstlerIn aus, indem sie ihn/sie durch seine/ihre Darstellung ersetzt. Nie hat sie den Mut – zumindest nicht in „anerkannten“ Fällen – sich selbst auf die Bank des Herausgebenden mit sich selbst zu montieren, wie es Burroughs tat. Wie wird sich die Kunstgeschichte positionieren? Wird sie in akademischen Kreisen mit einem historisch dokumentarischen Diskurs bleiben? Oder wird sie direkt draußen stehen und versuchen, der lebendigen Kunst mit den Beziehungen, die sie durch Ausstellungen und Sammlungen entwickelt hat, eine Richtung zu geben? Entweder wird sie Burroughs archivieren oder seine Collage mit einem Originalprodukt ersetzen. Obwohl Frage und Antwort einfach genug erscheinen, befinden sich KunsthistorikerInnen als HintergrundleserInnen des Kunstverständnisses einer Epoche ratlos inmitten eines Dilemmas und sind unfähig, ihren Weg zu finden. Über andere mögliche Horizonte sind sie sich nicht bewusst.

Der Ausgang dieser dunklen Fegefeuernacht ist eine fehlgeleitete Historiografie und Marktmanipulationen verschiedenster Art im Namen heutiger Kunst.

Ein letzter Satz wird die Collage aus Wörtern vervollständigen: Auch wenn ich die Kunsthalle-Broschüre mit dem Bild des Künstlers in schwarzem Anzug und mit ausdruckslosem Gesicht als Untersetzer verwende, wird Burroughs in Naked Lunch weiterleben.

[1] Anm. d. Übers.: Auszug aus „Naked Lunch“, Die ursprüngliche Fassung, aus dem Engl. von Michael Kellner, München: Nagel & Kimche, 2009, S. 52.


Barış Acar

Nach Abschluss seiner Schulausbildung in Izmir in der Türkei studierte er zunächst Physikingenieurwesen. An der Hacettepe Universität in Ankara setzte er sein Studium fort und schloss es dort an der Fakultät für Geisteswissenschaften als Kunsthistoriker ab. Seine Diplomarbeit an der Universität von Ankara verfasste er über die Theorie der Kunstgeschichte. Später lehrte er an der Fakultät für Bildende Kunst der Anadolu Universität Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Er gründete mehrere Zeitschriften in der Türkei und war regelmäßig für diese tätig und hat viele Bücher herausgegeben, darunter jene von A. Danto, H. Foster, R. Sennet. Seine Artikel über Kunsttheorie, Literatur und Kino sind seit 1997 in verschiedenen Magazinen wie Sanat Dunyamız, Cogito, Artist, Rh + Sanart, Antik & Dekor, Artam Global Art, and Altyazi erschienen. Er forscht noch immer über die Theorie der Kunstgeschichte an der Universität Wien am Institut für Kunstgeschichte.




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