

Vorbemerkung der Herausgeberin
Gülsen Bal
Open Systems: „Im Gespräch mit Gülsen Bal”
Costanza Meli
The Conversational Turn in Curating or Let’s Twist and Talk (nur auf Englisch)
Elke Krasny
Kunst und Wissen: Ansätze für eine dekoloniale Perspektive
Therese Kaufmann
False Economies: Zeit für eine Bilanz
Rebecca Gordon Nesbitt »
Übersetzt von Dörte Eliass
Als Kunst des Kritisierens definiert [1], handelt es sich bei Kritik um keine schwarz-weiße Angelegenheit, denn tatsächlich vollzieht sie sich in vielen Grautönen. Dieser Text erkundet die Implikationen einer Umwandlung der Kunst des Kritisierens in eine eigene Kunstform. 1977 schrieb Adorno: ,Kunst heißt nicht: Alternativen pointieren, sondern, durch nichts anderes als ihre Gestalt, dem Weltlauf widerstehen, der den Menschen immerzu die Pistole auf die Brust setzt’ [2]. Das auf die Menschheit gerichtete Instrumentarium war nie so bedrohlich und der Bedarf an Kritik, Widerstand und Widerspruch nie größer. Einige KünstlerInnen haben auf diese Bedrohung reagiert, indem sie Gesellschaftskritik durch die Form und das Thema ihrer Praxis geübt haben. Andere taten dies nicht.
Kritik wird durch Ungleichheit hervorgerufen. Auf einer Makroebene sind die Wurzeln der Ungleichheit – der ,freie‘ Handel, Schulden der Dritten Welt, Profitstreben – wirtschaftlicher Natur. Dies trifft auch für die Mikroebene zu, und während die Kunstwelt kein geschlossenes System darstellt, das von den wirtschaftlichen Kräften einer größeren Gesellschaft geschützt ist, kann sie doch als Mikrokosmos gesehen werden, in der diese Kräfte zu untersuchen sind. Da Kunst nicht von den Bedingungen ihrer Produktion und Verbreitung zu trennen ist, gilt es außerdem zu erforschen, was passiert, wenn Kritik sich mit Institutionen überschneidet, welche die in dieser Kritik thematisierten Werte vertreten.
Kritische Absicht
Für die Einschätzung der Wirksamkeit von Kritik im Feld der Kunst ist es zunächst notwendig, sich mit ihren Intentionen zu befassen; und zwar grundsätzlich mit der Frage, ob Kunst Veränderung bewirken will. Einerseits setzten KünstlerInnen Kritik immer wieder ein, um das Bewusstsein für bestimmte Themen zu heben, als Teil eines Kontinuums, welches mittels Kultur die subjektiven Bedingungen einer Revolution vorzubereiten suchte, als klar war, dass dies zu den Schwächen in den 1920er Jahre gehört hatte (wie Sture Johannessons in ,Revolution Means Revolutionary Consciousness’ schreibt) [3]. In Bezug auf Inhalte, bei denen eine frühere Generation bereits weitgehend Kritik an Kunst und ihren Mechanismen geübt hatte [4], war der Weg für eine effektive Kritik geebnet, die sich über eine Selbstbezogenheit hinausbewegen konnte, wie es dies Peter Weibel 1994 in seinem Kontextkunst-Projekt erkannte, worin er auf eine proaktive Haltung verweist:
Es geht nicht mehr allein um Kritik am System Kunst, sondern um Kritik an der Wirklichkeit, um Analyse und Kreation sozialer Prozesse. Kunstexterne Kontexte werden in den 90er Jahren vermehrt in den Kunstdiskurs miteinbezogen. Die Künstlerinnen werden zu autonomen Agenten sozialer Prozesse, zu Partisanen des Realen. Die Interaktion zwischen KünstlerIn und sozialer Situation, zwischen Kunst und extrakünstlerischem Kontext hat zu einer neuen Kunstform geführt, wo beides zusammenfällt, eben die Kontextkunst. Das Ziel der sozialen Konstruktion von Kunst ist Teilhabe an der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit. [5]
Zehn Jahre später reichen die Ansätze von Kritik durch einzelne KünstlerInnen von einer Neubewertung von Ideologie – wie jene in der Arbeit Colin Darkes (Derry) und Pavel Büchlers (Manchester), die beide parallel zu ihrer künstlerischen Praxis auch polemische Schriften veröffentlichen – zu dem beispielhaften skandinavischen KünstlerInnenkollektiv N55. [6]
Deutliche Kritik, die das Bewusstsein erweitert, wurde immer wieder als Sozialarbeit abgetan, die in der Kunstwelt nichts zu suchen habe und als solche ,mit einem deutlich sichtbaren Label versehen, der sie als ,kritische Kunst’ ausweist, [bei der] mehr Gefahr besteht, dass sie scheitern könnte‘. [7] Mit anderen Worten verbirgt ,das Label „didaktisch“ die Angst, dass von Kunst wirklich etwas gelernt werden könnte, in dem Sinn, dass sie eine nützliche Informationsquelle darstellen kann‘. [8] Dies wirft Fragen auf, wer davon profitiert, dass ein Status quo bewahrt wird, den kritische Kunst aktiv zu stören sucht. Darüber später mehr.
Am anderen Ende des Spektrums kann Kritik als wenig mehr als ein ,Nörgeln von den Seitenlinien’ verstanden werden, als ein Weg, mit dem sich das soziale Gewissen und letztendlich auch ein lasches Bemühen beruhigen lassen. In den letzten Jahren, vor einem Hintergrund des Umbruchs und des antikapitalistischen Protests, wurden die beiden dominierenden künstlerischen Trends, die vom Establishment in Westeuropa legimitiert sind – die ;Relationale Ästhetik’ und der ,Neue Formalismus’ – auf eine ambivalente Haltung zu Veränderung festgelegt. Im Rahmen seiner widersprüchlichen These der ,Relationalen Ästhetik‘ identifizierte der Pariser Kurator Nicolas Bourriaud eine lose KünsterInnengruppierung, die auf die entmenschlichenden, reifizierenden Tendenzen des fortgeschrittenen Kapitalismus durch Technologie und die exzessive Vermittlung menschlicher Erfahrung reagierte und versuchte, soziale Beziehungen wiederzubeleben. Von Anfang an mied die Relationale Ästhetik Utopismus und direkte Kritik:
Soziale Utopien und revolutionäre Hoffnungen sind alltäglichen Mikroutopien und imitativen Strategien gewichen und jede Haltung, die „direkt” die Gesellschaft kritisiert, ist sinnlos, wenn sie auf der Illusion einer Marginalität basiert, die heutzutage unmöglich, wenn nicht sogar regressiv ist. [9]
Ausgehend von KünstlerInnen, die mit ortspezifischen Projekten arbeiten, passten all jene, die Bourriaud kollektiv beschrieb, genau in die aktuelle Realität, indem sie angeblich ;beunruhigende‘ und damit subversive Situationen initiierten. Indem sie nomadisch in lokalen Szenarien agierten, basierte die Arbeit dieser Kunstschaffenden – so Bourriaud – im Wesentlichen auf den Grundsätzen von Foucaults „lokalem Intellektuellen“, der später dann von einer orthodoxen marxistischen Sicht als jemand diskreditiert wurde, der:
für all jene spricht, die bereits ihre materiellen Bedürfnisse erfüllt haben und es sich leisten kann, Politik im Sinn dessen zu sehen, was innerhalb existierender Institutionen des Kapitalismus möglich ist, und bereits über die Macht verfügt, dieses Interesse als universell zu projizieren. [10]
Vielleicht die interessanteste Behauptung innerhalb des mangelhaften Konzepts der Relationalen Ästhetik ist jene, dass ‚Kunst einen sozialen Zwischenraum darstelle‘ [11] in dem Kontext, mit dem Marx Zonen zwischen und über den Kapitalismus hinaus beschreibt. Bourriaud jedoch ficht gleichzeitig jeden Versuch der Kunst an, der – in seinen Augen – außerhalb des Kapitalismus operiert:
Als menschliche Aktivität, die auf Handel basiert, ist Kunst zugleich Objekt und Subjekt einer Ethik. Und dies umso mehr, als, anders als andere Aktivitäten, ihre einzige Funktion darin besteht, diesem Handel ausgesetzt zu sein. [12]
In der Tat sind alle KünstlerInnen der Relationalen Ästhetik kommerziell repräsentiert, und einige haben Kunstwerke über ihre Beziehung zu den KunsthändlerInnen geschaffen. Das zunehmend schwer zu definierende Potenzial des „Zwischenraums“ ist jedoch so interessant, dass es eine spätere Untersuchung rechtfertigt.
Auf der anderen Seite des Kanals reagierte Großbritannien mit dem dominanten Tropus des Neuen Formalismus, beispielgebend sei hier die Ausstellung ,Early One Morning’ in der Whitechapel Gallery genannt, sowie vertreten durch JJ Charlesworth in London und Neil Mulholland in Edinburgh.[13] Wie der Name schon sagt, handelt es sich hier um marktfreundlichen, kaum bedrohlichen Formalismus, dessen einziger Anspruch auf Kritik in vorgetäuschter Parodie besteht, welche Nick Evans zu der Frage verleitete (damals Mitglied des Transmission Gallery Komitees):
Warum ziehen sich die KünstlerInnen weiter in eine hermetische Welt der Abstraktion, des Formalismus, der Bedeutungsverschiebung und des latenten Spiritualismus zurück, während sich die Welt draußen in immer engeren Spiralen von Terror und Repression verirrt? [14]
Öffentliche Räume, private Initiativen
Noch einige Sätze über den Aspekt der Ungleichheit, bevor ich näher auf die genaue Natur der Beziehung zwischen künstlerischer Kritik und Institutionen eingehe. Der Arts Council in Schottland investiert den größten Teil seiner Förderung für bildende Kunst (mehr als 93 % der bereitgestellten Summe) in eine Infrastruktur von Galerien und Museen, wobei ein sehr kleiner Teil des Budgets für bildende Kunst direkt in die Forschung und Entwicklung künstlerischer Praxis oder in Organisationen an der Basis wandert, die am meisten zur Unterstützung dieser Praxis beitragen. [15] Die Argumentation dahinter ist jene, dass diese Institutionen indirekt KünstlerInnen unterstützen. Eine neuere Untersuchung, die vom Scottish Arts Council in Auftrag gegeben wurde, (und von privaten BeraterInnen, Angestellten der öffentlichen fördernden Institutionen, durchgeführt wurde, denen es vermutlich sowohl an Expertise wie Objektivität mangelt – wie derzeit allgemein üblich), ergab, dass 82 % der bildenden KünstlerInnen in Schottland weniger als £5,000 pro Jahr aus ihrer Praxis verdienen, wobei 28 % überhaupt kein Einkommen haben. [16] Die Personen in Machtpositionen sind selbst ganz froh darüber, wenn dieser Status quo bewahrt werden kann. Protektionismus innerhalb schottischer Institutionen ist weit verbreitet, denn Förderungen und Karrieren stehen auf dem Spiel. Die Zahlen der Institutionen befürworten öffentlich bessere Konditionen für KünstlerInnen und die Beteiligung von KünstlerInnen an Entscheidungsprozessen, während jeder tatsächliche Versuch der Transparenz und Veränderung in vertraulichem Kreis verunglimpft wird. Um mit breiteren sozialen Missständen umzugehen, sollten wir uns zunächst mit den Ungleichheiten vor unserer eigenen Türschwelle befassen. Andernfalls besteht die wirklich reale Gefahr der Kritik, die nur als leere Rhetorik fungiert.
2001 nach traditionellen Gewerkschaftsrichtlinen gegründet, zielt die Scottish Artists’ Union (Schottische KünstlerInnenvereinigung) darauf ab, sich mit Ungleichheiten des Einkommens zu befassen und folgt dabei ähnlichen Bestrebungen wie die Artists’ Union in London (1972–1983) und die Art Workers’ Coalition [17] in New York in den 1960er und 1970er Jahren, wobei Letztere tendenziell darauf abzielte, den Kunstmarkt zu regeln, was zum Künstlerverkaufs und Rechtsabtretungsvertrag von 1969 und zum Hintergrund institutioneller Kritik führte. Die aktuellen Verhältnisse lassen jedoch eher den Schluss zu, dass KünstlerInnen kaum eine stärkere Position erreicht haben, als bevor sie begannen, sich in Vereinigungen zu organisieren.
Die europaweite Erkenntnis, dass KünstlerInnen als flexible Wissens- und GehirnarbeiterInnen ausgebeutet werden, [18] hat zu Behauptungen von ,flexploitation’ (Ausbeutung der Flexibilität) und Forderungen nach ,flexicurity’ (Absicherung der Flexibilität) und zur Berücksichtigung (zugegebenermaßen relativ privilegierter) KünstlerInnen als prekäre ArbeiterInnen geführt, wobei Prekarität im Allgemeinen als der existenzielle Zustand definiert wird, der uns allen zusetzt, und im Besonderen die Situation meint, nicht in der Lage zu sein, das eigene Arbeitsleben und die Arbeitsbedingungen steuern oder vorherbestimmen zu können. [19] Die Ausbeutung eines flexiblen Arbeitsmarktes ist ein wiederkehrendes Thema bei jeder Betrachtung von Ungleichheit.
In den meisten europäischen Ländern werden die öffentlichen Kunstinstitutionen direkt oder indirekt (durch Förderorgane, die angeblich unabhängig sind, wie die britischen Arts Councils) vom Staat gefördert, der selbst mit dem Stigma des Neoimperialismus im Westen und des Totalitarismus im Osten behaftet ist. In Großbritannien und Nordirland ergänzt die Politik der Kunstförderung Zielsetzungen der Zentralregierung, indem Kunst auf eine mit der Unternehmenswelt eng verzahnte Weise instrumentalisiert wird. Seit 1997 unter der New Labour-Regierung wurden so öffentliche Mittel zunehmend zweckgebunden für Prioritäten wie die soziale Inklusion, die:
vorrangig auf die ,Demokratisierung‘ der Kultur von oben nach unten abzielt. Durch diesen Prozess sollen Mitglieder ,ausgeschlossener‘ sozialer Gruppen an historisch privilegierten kulturellen Arenen beteiligt werden. Eine solche Politik reformiert weder den existierenden institutionellen Rahmen von Kultur, noch macht sie den Prozess einer schädigenden Privatisierung rückgängig. Stattdessen versucht sie, die Kunst zugänglicher zu machen, damit so ihr Zielpublikum an einen zunehmend deregulierten Arbeitsmarkt angepasst wird. [20]
Die Politik der sozialen Inklusion nutzt Kultur jedoch nicht nur, um vorher entrechtete ArbeiterInnen dazu zu ermutigen, in der Wirtschaft eine produktive Rolle zu spielen. Sie zielt auch darauf ab, die Fassade einer Arbeitszufriedenheit aus dem Inneren des Sektors zu projizieren, wobei ‚ermächtigte‘ KunstarbeiterInnen durch ihre schlecht bezahlte Arbeit Selbstachtung gewinnen. Die Rhetorik der sozialen Inklusion ist eine Bemäntelung, die nichts dazu beiträgt, die Ungleichheiten der Gesellschaft zu thematisieren. Stattdessen werden die Künste für eigene Zwecke vereinnahmt. Damit verabsäumen es Regierungsminister, das kritische Potenzial der Kunst anzuerkennen. [21]
Während es vielleicht einmal möglich war, von einer Trennung zwischen öffentlichen und privaten Interessen zu sprechen, innerhalb des Kunstmikrokosmos und anderswo, wurde inzwischen jeder Anschein einer Unterscheidung kontinuierlich durch ein Netz miteinander verflochtener Solidaritäten erodiert, das eine andauernde Symbiose zwischen den beiden Bereichen sicherstellt. Es ist wichtig anzumerken, dass dies keinen Nationalstaat zur Folge hat, der den unternehmerischen Interessen völlig untergeordnet ist, sondern:
Die Illusion eines geschwächten Staates ist der Deckmantel, der von den DesignerInnen der New Order aufgezogen wird. So konzentrierte Margaret Thatcher die exekutive Macht, während sie das Gegenteil behauptete; Tony Blair tat genau das Gleiche. Das europäische Projekt dreht sich vor allem um die Erweiterung der Grenzen eines ,Superstaates’. Das totalitäre China hat sich den ,freien’ Markt zu Eigen gemacht, während es seinen riesigen Staatsapparat konsolidierte. [22]
Im Lauf der 1990er Jahre griffen multinationale Konzerne – vornehmlich in London –durch Sponsorship-Programme und Networking Clubs in öffentliche Kunstinstitutionen ein. [23] Dieser Schritt wurde im Großen und Ganzen von Institutionen angenommen, deren Ambitionen die betreffenden Budgets überschritten hatten. Wie Anthony Davies jedoch vor Kurzem dokumentiert hat, ist die Förderung durch Unternehmen im Zuge der Dotcom-Blase und der globalen Rezession zurückgegangen, wobei das geschäftliche Investment in die Künste von £134 Millionen auf £99 Millionen zwischen 1999/01 und 2001/02 gesunken ist und neue Initiativen notwendig sein werden, um den Rückgang auszugleichen. [24]
Der Arts Council England hat darauf reagiert und forderte einen weiteren Bericht von privaten BeraterInnen mit dem Titel Taste Buds: how to cultivate the art market [Geschmacksknospen: Wie der Kunstmarkt zu kultivieren ist] an, anstatt dem Trend der direkten Unternehmensintervention in den Kunstbereich und öffentlich geförderten Versuchen, den privaten Arbeitsmarkt anzukurbeln, entgegenzuwirken, indem er für die Anerkennung des kritischen Wertes von Kunst für eine freie und faire Gesellschaft eintrat, um diese durch öffentliche Förderung abzusichern. Dieses Dokument setzt den florierenden Privatmarkt ins Zentrum des Kunstsystems und untersucht, wie dieser besser ausgebeutet werden kann, wobei weitere 6,1 Millionen potenzielle SammlerInnen zeitgenössischer Kunst identifiziert werden. Bei einer finalen Anpassung des Öffentlichen an das Private identifiziert der Bericht die ,Subskription […] als Prozess, durch den Kunst gefiltert und legitimiert‘ wird:
Netzwerke von Professionellen der Kunstwelt, einschließlich AkademikerInnen, KuratorInnen, KunsthändlerInnen, KritikerInnen, KünstlerInnen und KäuferInnen stellen Fürsprache und Unterstützung für ein Kunstwerk durch Ausstellungen, kritische Anerkennung und private und öffentliche Käufe dar. Der Wert eines Kunstwerks erhöht sich in direktem Verhältnis zu der angezogenen und ständigen Subskription. [25]
Der Bericht setzt ,besonderes Schwergewicht auf die Verkäufe aktuellster zeitgenössischer Arbeit, die sich kritisch engagiert‘, berücksichtigt aber nur unzureichend die Absicht einer solchen Kunst, außerhalb des Privatmarktes zu bleiben. Ein Diagramm wurde erstellt, das genau demonstrieren soll, wie dieser Prozess funktioniert, mit allen Aktivitäten in der traditionell als ,Öffentlichkeit‘ bezeichneten Sphäre, von der Kunstschule und von KünstlerInnen geführten Aktivitäten bis zur öffentlichen Galerie, die dem Markt unterworfen ist. Damit erweist sich die die neo-konservative Tirade Dave Hickeys in den Vereinigten Staaten als zutreffend, der seit Langem schon behauptete, die Kunstwelt sei auf dem Markt begründet, und dass sich objektlose Kunst nur deshalb entwickele, weil die Galeriewände bereits voll seien. Öffentliche Institutionen gäbe es nur deswegen, weil so die negativen Auswirkungen des Privatmarkts absorbiert werden sollen. [26]
Zusammen mit der Tatsache, dass das britische Department of Culture, Media and Sport gerade die Förderung des Arts Council England eingefroren hat (was im Wesentlichen eine Fehlmenge in Höhe von £ 30 Millionen in den nächsten Jahren bedeutet)[27], dass der Welsh Arts Council zugunsten einer zentralisierten Kontrolle über das walisische Parlament aufgelassen wurde [28] und dass die schottische Exekutive derzeit ihr Kulturangebot überprüft, im Rahmen dessen wahrscheinlich der Arts Council durch eine zentralisiertere Kontrollinstanz ersetzt wird [29], liegt die Vermutung nahe, dass sich der Arts Council England dadurch, dass potenziell für jedes noch so umstrittene Kunstwerk eine private Bleibe gefunden wird, vorbeugend selbst von Unterstützung befreit. In Schottland ging dieser Schritt mit zweckgebundenen Förderungen für Kunstmessen einher, einer ,Sammlungs-Initiative’ (so entstand inzwischen auch die Broschüre ,How to Buy Art’ [Wie Sie Kunst kaufen], mit der eine neue, kunstkaufende Öffentlichkeit geschaffen werden soll) [30] und die fortlaufende Förderung für Glasgows international erfolgreiche, kommerzielle Galerie The Modern Institute [31]. 2004 waren auf der Glasgow Art Fair viele Stände von Basis-Organisationen zu finden.[32] Eine fehlende Förderung für Reisen bedeutet, dass die Anwesenheit auf Kunstmessen von den öffentlichen FördergeberInnen befürwortet wird für jene, von KünstlerInnen geführte Initiativen, die ihre Netzwerke erweitern wollen. Sie ist auch als Grund genannt worden, warum die Transmission Galerie in Glasgow an der Frieze Art Fair teilnahm, was vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Es ist daher wenig überraschend, dass die Inhalte von Kunsträumen, die von KünstlerInnen geführt werden, immer wieder jenen kommerzieller Galerien ähneln, sodass es nur wenig Alternativen zum Neuen Formalismus gibt.
Während ,Professionalität’ zunehmend Kritikalität in Kunstschulen ersetzt, besteht die einzig brauchbare Lösung, mit der viele aufstrebende KünstlerInnen konfrontiert sind, noch bevor sie überhaupt ihr Studium abgeschlossen haben, darin, ihre Arbeit an den Kunstmarkt anzupassen. Ein interessantes Beispiel in dieser Hinsicht stellt das israelische Unternehmen ArtLink dar, das von Tal Danai 1997 ins Leben gerufen wurde, der im Traum eine Vision hatte (wenn dem Pathos der Webseite zu glauben ist), laut derer er hungernden KunststudenInnen dadurch helfen konnte, dass er ihre Arbeit verkaufte. Nachdem er sich 1998 mit Sotheby‘s zusammengetan hatte, unterschrieb Danai Vereinbarungen mit Hunderten von KünstlerInnen rund um die Welt, die sich noch in der Ausbildung befanden. Diese übertrugen ArtLink die Exklusivrechte, ihre Arbeit innerhalb einer Zeitspanne von zwölf Monaten zu verkaufen. In der Annahme, dass ihre Arbeit auf einer Auktion versteigert werde, nachdem sie in eine Ausstellung aufgenommen und entsprechend vermarktet worden ist, werden KunststudentInnen, die kaum Erfahrung im Kunstmarkt und keinen Zugang zu Beratung haben, gebeten, einen Minimumpreis anzugeben (der leicht mit dem Startpreis bei einer Auktion verwechselt wird) [33], für den ihre Arbeit zu verkaufen ist. Aber laut Vertrag hat ;ArtLink das Recht, nicht unbedingt alle Arbeiten in den Auktionen zu präsentieren und eine jede Arbeit auch zum Verkauf außerhalb der Auktion anzubieten …’ Anonym entdeckte einer der KünstlerInnen, der einen Vertrag mit ArtLink unterzeichnet hatte, dass seine Arbeit, ein Video, nicht im Vorfeld der Auktion gezeigt worden war, in der ein Angestellter von ArtLink es für einen Bruchteil des aktuellen Marktpreises gekauft hatte.
Dies sind die Problematiken des aktuellen Kunstsystems, mit dem Kritik übende KünstlerInnen konfrontiert sind. Wenn sie eine autonome Praxis bewahren wollen, bleiben den KünstlerInnen wenig Möglichkeiten – abgesehen von einem völligen Rückzug und der Weigerung, sich durch ihre individuelle und kollektive Tätigkeit mit den Mechanismen der Institution und des Marktes einzulassen. Während die Rolle von KünstlerInnen wohl weiterhin eher darin bestehen wird, Fragen zu stellen anstatt Antworten bereitzustellen, sind vielschichtige Versuche ihrerseits unternommen worden, durch selbstorganisierte Aktivitäten Alternativen zu „pointieren“ [Adorno] als ein Weg, die Institution zu umgehen. Das Event- und Kinozentrum Cube Mikroplex in Bristol ist ein interessantes Beispiel für nicht-hierarchische, freiwillige Arbeit, bei der mehr als 100 Menschen daran beteiligt sind, ein lebendiges Event-Programm in einem alten Kinoraum auf die Beine zu stellen (das manchmal nur am Rande mit Film zu tun hat). Zur Deckung der Betriebskosten und für das Programm verlassen sie sich auf die Ticketverkäufe. [34]
Kritik an der Institution und die Institutionalisierung von Kritik
Die hier beschriebene Situation wird in einem solchen Maß als Norm akzeptiert, dass sogar die meisten, nach eigenen Aussagen sympathisierenden KuratorInnen sich weigern, über den Stand der Dinge hinaus zu blicken. Bis jetzt wurde in spekulativen Begriffen Trost gefunden, wie in jenen von Pierre Bourdieus kollektiv globalem Intellektuellen,(35) demzufolge lokale Akteure ihre Arbeit als Teil einer globalen Initiative leisten, wobei hier die Gefahr darin besteht, ein Alibi für den Kapitalismus darzustellen:
Bourdieu macht den Intellektuellen zu einer symbolischen Kategorie, dessen Wissen, sein kulturelles Kapital, ihn zu einer Elite werden lässt, die über jene dominiert, deren Wissen im Markt weniger Status besitzt, und der sich mit diesen daher nur vereinigen kann, indem sein Wissen de-privilegiert und er/sie so zu einem pragmatischen Aktivisten/in wird. [36]
Wenn die Kritik-als-Kunst/Kunst-als-Kritik die Schwelle der Institution überschreitet und ihre Autonomie aufgibt, akzeptiert sie die der Situation inhärenten Hierarchien und unterwirft sich selbst der Ideologie der Institution. Denn der unfehlbare, neutrale, objektive Raum der Institution rutschte im späten Modernismus von seinem Sockel, er war auf allen Ebenen einer kritischen Überprüfung ausgesetzt. Die Frage bleibt, angesichts der weiter bestehenden Ungleichheiten, warum die ,Nachkommen‘ der Institutionellen Kritik überhaupt mit Institutionen kollaborieren. [37] Eine Antwort liegt scheinbar in der Rolle der Institutionen, die Kultur legitimieren, und im ultimativen Bedürfnis der KünstlerInnen nach einer Legitimation, welche diesen Handel antreibt:
Wenn dieses Phänomen ein weiteres Beispiel einer „Domestizierung“ bahnbrechender Arbeiten durch die dominante Kultur darstellt, so liegt dies nicht nur an den selbstherrlichen Bedürfnissen der Institution oder der nach Profit strebenden Natur des Marktes. KünstlerInnen, egal wie tief sie von ihren anti-institutionellen Gefühlen überzeugt oder wie brennend ihre Kritik an der dominanten Ideologie sein mag, sind unvermeidlich aus Eigennutz oder mit Ambivalenz an diesem Prozess der kulturellen Legitimierung beteiligt. [38]
Wenn sich Kritik mit Institutionen überschneidet, was auch immer das offensichtliche Thema dieser Kritik sein mag, wird zu Recht davon ausgegangen, dass sie zumindest teilweise auch eine Kritik der Institution selbst und der Hegemonie darstellt, der diese angehört. Heutzutage gehen verunsicherte Institutionen zunehmend dazu über, dies nervös zu erwarten und ihre progressive Haltung durch die ,Zusammenarbeit’ mit den KünstlerInnen unter Beweis zu stellen, die sie in ihrer Selbstkritikalität unterstützen. Schon 1990 identifizierte Isabelle Graw einen Trend:
Die beauftragende Institution (das Museum oder die Galerie) wendet sich an einen Künstler als eine Person, die die Legitimation besitzt, die Widersprüche und Unregelmäßigkeiten, die sie selbst missbilligt, aufzuzeigen … Subversion im Dienst der eigenen Überzeugungen geht einfach in eine Subversion auf Abruf über; ,Kritik verwandelt sich in Spektakel’. [39]
Maria Lind, scheidende Direktorin des Kunstvereins München, hat sich eine Form der ,konstruktiven institutionellen Kritik’ zu Eigen gemacht.[40] Bevor sie München verließ, organisierte sie ein Kolloquium über Kollaborative Praxis, das darauf abzielte, selbst organisierte Künstlergruppen zurück in die Institution einzuladen, indem es Fragen stellte wie:
Was kann Institutionelle Kritik von unabhängigen, selbst organisierten Teams lernen? Welchen Fallen müssen sich KuratorInnen und KünstlerInnen bewusst sein? Wie sollte eine Institution untersuchen, wo genau kollaborative, aktivistische Teams sich wohl fühlen und wo sie ihre Ressourcen am besten nutzen und am besten funktionieren können? [41]
Was dieses Kolloquium zu Tage förderte, war, dass es so viele Gründe für KünstlerInnen und Künstlergruppen gibt, sich an der Institution zu beteiligen – vom Zugang zum Publikum über die Verhandlung mit Dritten – wie es Positionen gegenüber Kritikalität gibt.
Kuratierte Kritik stellt nur einen Weg durch das Minenfeld des Engagements dar und sollte mit der angebrachten Sorgsamkeit und Aufmerksamkeit für die wirtschaftlichen Aspekte dieses Austauschs ausgeführt werden (siehe Scottish Artists Union recommended rates of pay for artists) [empfohlene Entlohnungstarife für KünstlerInnen]. Neben der angebrachten Bezahlung für KünstlerInnen zur Entwicklung ihrer Werke sollte die Institution gewährleisten, dass die kritischen Absichten von KünstlerInnen respektiert werden, wenn Öffentlichkeiten erreicht werden, zu denen individuelle KünstlerInnen und selbst organisierte Gruppen sonst keinen Zugang hätten.
Kuratieren als Kritik
Zusätzlich zur Ausübung von Widerstand durch die Form und das Thema ihrer Arbeit übernahmen KünstlerInnen immer wieder die Aufgabe, durch ihre selbst organisierte Aktivität auf Alternativen hinzuweisen. Dabei scheinen sie die meisten verfügbaren Optionen ausgeschöpft zu haben, wobei auch viel von der Institution subsumiert wird. Aber da die Ungleichheiten des Kunstsystems und darüber hinaus nicht langfristig vertretbar sind, liegt die Verantwortung nicht mehr allein bei den KünstlerInnen. Es ist höchste Zeit, dass all jene, die an der Beauftragung und Mediation von Kunst beteiligt sind, eine aktive Rolle dabei spielen, wieder einen Ausgleich herzustellen. In dem Zusammenhang bieten sich zwei proaktive Vorgangsweisen an.
In der Vergangenheit haben institutionelle KuratorInnen nicht lautstark genug darüber gewacht, dass die staatliche Förderung für KünsterInnen gerecht verteilt wird, aus Angst, dadurch die eigene Förderung zu gefährden. Der erste Schritt bestünde darin zu fordern, dass die KünstlerInnen mehr Geld erreicht, direkt und über den freiwilligen Sektor, damit sie sich dann durch Lobbying die Förderkette höher hinaufbewegen können.
Jeremy Rifkin, Präsident der Foundation on Economic Trends [Stiftung für Wirtschaftstrends] schrieb 1995 über die wirtschaftliche Situation in den Vereinigten Staaten und sagte voraus, dass eine zunehmende Automatisierung unweigerlich die Menge der verfügbaren Arbeit verringern würde. Die wenige Arbeit, die in der Marktwirtschaft bliebe, so behauptete er, sollte gleichmäßiger über die Bevölkerung verteilt werden, wodurch die Arbeitswoche reduziert und das Potenzial zur Mehrarbeit eingeschränkt werde. Mit dieser These führt Rifkin die derzeitige UK Regierung ad absurdum, die versucht, durch Inklusion mehr ArbeiterInnen in den Arbeitsmarkt zu kanalisieren:
Fortgesetzte Bemühungen, nicht existente Jobs in der formalen Wirtschaft zu finden, oder Jobs, die wahrscheinlich durch Umstrukturierung und Automatisierung in wenigen Jahren eliminiert werden, scheinen gleichermaßen fehlgeleitet zu sein. [42]
In seine Überlegungen über die post-marktwirtschaftliche Ära bezog Rifkin den sogenannten Dritten oder freiwilligen Sektor mit ein, wobei die zusätzlich verfügbare Zeit all derjenigen, die durch den Marktsektor unter- oder unbeschäftigt sind, zum Aufbau von Gemeinschaftsstrukturen verwendet werden könnte:
Die Idee an sich, die eigenen Loyalitäten und Affiliationen über die engen Grenzen des Marktes und den Nationalstaat hinaus zu erweitern und auch die menschliche Spezies und den Planeten dabei einzuschließen, ist revolutionär und verweist auf riesige Veränderungen in der Struktur der Gesellschaft.
Indem im Namen von Interessen der gesamten Menschheit und der biologischen Gemeinschaft gehandelt wird, und weniger aus Gründen des eigenen, eng gefassten materiellen Selbstinteresses, wird das Paradigma des Dritten Sektors zu einer ernsthaften Bedrohung der konsumentenorientierten Vision einer noch immer dominanten Marktwirtschaft. [43]
Rifkin rechnete damit, dass die staatliche Leistung eines ,Schattengehalts’ durch Steuersenkungen für die Teilzeitbeschäftigten und ein garantiertes Einkommen für die Arbeitslosen (dieser Schritt wurde in den Vereinigten Staaten bereits 1967 einstimmig unterstützt) für die Regierung billiger käme, als wenn sie Aktionsprogramme der Gemeinschaft selbst organisierte. Ähnliche Initiativen innerhalb des freiwilligen Sektors der Kunstwelt würden ihr notwendiges Überleben sichern. Während die Einführung gehaltsgestützter Positionen in freiwillige Organisationen unweigerlich eine bedeutsame Veränderung im Ethos erfordert, die einige vielleicht nicht zu akzeptieren bereit sind, sollte das Recht, ein Gehalt zum Lebensunterhalt zu verdienen, auf einzelne KünstlerInnen und auf jene, die in Basis-Organisationen arbeiten, ausgedehnt werden.
Die zweite Reaktion, die damit zu tun hat, welchen Einfluss verschiedene Parteien in der Kunstwelt auf die Ungleichheiten des Systems haben können, ist radikaler und hat möglicherweise eine breitere Resonanz. Irrigerweise von Bourriaud evoziert, existiert noch immer das Potenzial der Kunst, in den Zwischenräumen zu operieren, und nicht nur auf alternative Modelle zu verweisen, sondern diese auch zu testen, umzusetzen und sie zu verbreiten. Wie wir schon gesehen haben, liegt der Ungleichheit hauptsächlich ein wirtschaftlicher Faktor zugrunde, und so gilt es, eine wirtschaftliche Lösung zu finden. Angesichts der Verringerung und der Instrumentalisierung der öffentlichen Förderung und einer massiven Orientierung zum Markt sollte dringend eine Alternative entwickelt werden. Eine sich selbst erhaltende Wirtschaft, die nicht von den Mechanismen des Kapitalismus abhängt, wird gebraucht werden, damit die Bedingungen für eine wirklich autonome, künstlerisch florierende Produktion geschaffen werden können.Ganz klar ist viel Arbeit erforderlich, sowohl auf einer theoretischen wie auch auf einer praktischen Ebene, in einem engen Dialog mit WirtschaftswissenschaftlerInnen. Eine Untersuchung nützlicher Präzedenzfälle in anderen Bereichen wurde bereits begonnen, wie Gardar Eide Einarssons Studie über die Hardcore Musikszene, die zeigt, wie Produktion und Verteilung über die UrheberInnen gesteuert werden können, wenn auch nur durch die Selbstverkäufe der KünstlerInnen.[44] Auf einer praktischen Ebene ist „Total Kunst“ in Edinburgh ein Multimedia-Kunstraum, der aus den Einkünften von The Forest finanziert wird, einem vegetarischen Café. In London hat sich eine sehr vielfältige Gruppe rund um die Flaxman Lodge gebildet, einen Raum, der als Reaktion auf die Tatsache etabliert wurde, dass es nur ,wenigen wirtschaftlichen Modellen, Formen von Organisation oder Öffentlichkeit […] gelungen ist, mit den Bereichen Schritt zu halten, mit denen sie sich angeblich befassen und die sie kritisieren’. Mit dem Ziel, , den Aufbau von Umgebungen zu visualisieren, die vielleicht der wachsenden Vergesellschaftung des Kulturraums in London’ entgegenwirken, erkannte die Flaxman Lodge die ,Spannung an zwischen dem, was als unvermeidliche Subjektzentriertheit bezeichnet werden könnte (dem Bereitstellen der Miete, der finanziellen Mittel und des Raums, der dies ermöglicht), und ihrem Ziel, Modelle für kollektive Produktion, Artikulation und Nachhaltigkeit zu schaffen’. Der anfänglichen Einladung an dreißig Personen, an einem Internet-Forum teilzunehmen und eine Rolle bei der demokratischen Regelung von Aktivitäten zu spielen, [45] sind viel mehr Menschen gefolgt und haben sich zur Teilnehme angemeldet, was sowohl geistigen wie physischen Raum schuf. Die Flaxman Lodge steht beispielhaft für viele der hier beschriebenen Problemstellungen, wie zum Beispiel durch den wochenlangen Unionising Workshop, der im Juni 2004 von Jakob Jakobsen und MitarbeiterInnen organisiert wurde. Dieser befasste sich mit historischen Präzedenzfällen (darunter die Artists’ Union in England und andere Gewerkschaften) und zeitgenössischen Beispielen (u.a. UKK) [46], erkundete das Thema der Prekarität und untersuchte die Realisierbarkeit einer Knowledge Workers’ Union.
Projekte wie die Flaxman Lodge stellen eine konkrete Gelegenheit für Events dar, sich vom Bereich der reaktiven Kritik hin zu poaktivem Engagement zu bewegen. Derartige Projekte haben das Potenzial, über die Grenzen der Kunst hinaus aktiv zu werden, wobei neue ethische wirtschaftliche Modelle entwickelt werden, die sich in anderen Situationen wiederholen ließen. Auf diese Weise wird der Mikrokosmos der Kunstwelt mehr als nur ein Vehikel für eine passive Prüfung und stellt eine Arena für neue Ideen und Modelle dar, die es zu entwickeln gilt, und welche im erfolgreichen Fall auch in die Gesellschaft im Ganzen vordringen können.
Erstpublikation in Curating Critique. Frankfurt am Main, Drabble, B. Eigenheer, M. & Richter, D. hg. (2008), Revolver Verlag.
Anmerkungen:
[1] Im Collins English Dictionary wird Kritik definiert als:
1. ein kritischer Essay oder Kommentar
2. der Akt oder die Kunst des Kritisierens
[2] Theodor Adorno, ,Engagement’ in Noten zur Literatur (Frankfurt: Suhrkamp Verlag, 1997), S. 413.
[3] Siehe Sture Johannesson, Revolution Means Revolutionary Consciousness, 1968 (ansonsten bekannt als das ,Hash girl poster’ [Hasch-Girl-Poster]). Dank an Will Bradley für diesen Hinweis.
[4] Siehe Andrea Fraser, ,What’s intangible, transitory, immediate, participatory and rendered in the public sphere? Part II: A Critique of Artistic Autonomy’ (siehe http://home.att.net/%7Eartarchives/frasercritique.html).
[5] Peter Weibel, Kontextkunst – Kunst der 90er Jahre (Köln: DuMont Verlag, 1994), S. 57.
[6] Siehe http://www.n55.dk/ mit besonderem Bezug auf das SHOP Projekt, das auf der Ebene sowohl sozialer wie institutioneller Kritik operiert.
[7] Maria Lind, ,Notes on Art, Its Institutions and their Presumed Criticality’ in Spin Cycle (Bristol: Spike Island, 2004). S. 36, Übersetzung D. Eliass.
[8] Isabelle Graw, ,Field Work’, Flash Art, November/Dezember, 1990, S. 137. Übersetzung D. Eliass.
[9] Nicolas Bourriaud, Relational Aesthetics, (Les Presses du Réel, 1998), 2002 ins Englische übersetzt, S. 31. Übersetzung ins Deutsche: D. Eliass.
[10] Stephen Tumino, ,Pierre Bourdieu as New Global Intellectual for Capital’ in The Red Critique, Sept./Okt. 2002 (siehe http://www.redcritique.org/). Übersetzung D. Eliass.
[11] Bourriaud, op cit, S. 16.
[12] Bourriaud, op cit, S. 18.
[13] ,Early One Morning' war in der Whitechapel Gallery, London vom 6. Juli bis 8. August 2002 zu sehen. Siehe www.whitechapelgallery.org, JJ Charlesworth ,Not Neo but New’ in Art Monthly, No. 259, September, 2002, Neil Mulholland, ,Leaving Glasvegas’ in Matters, Sommer 2003, Ausgabe 17, S. 7–10.
[14] Nick Evans, ,Tired of the Soup du Jour? Some Problems with ‘New Formalism’’ in Variant Band 2, Nummer 16, Winter 2002, S. 37. Übersetzung D. Eliass.
[15] http://www.scottisharts.org.uk/1/information/publications/1000358.aspx. Aktuellen Gerüchten zufolge sollen kleinere Förderungen, die zumindest eine der letzten existierenden Lebensgrundlagen für KünstlerInnen darstellen, vom Scottish Arts Council aufgrund von unzureichenden Arbeitskräften in einem dezimierten Department für Bildende Kunst abgeschafft werden, wahrscheinlich eine sich selbst-bewahrheitende Prophezeiung.
[16] Bonnar Keenlyside, Making Their Mark: An Audit of Visual Artists in Scotland (siehe http://www.scottisharts.org.uk/1/information/publications/1000328.aspx))
[17] Für eine nähere Betrachtung der Beziehung zwischen der Art Workers’ Coalition und Institutioneller Kritik siehe Fraser, op cit.
[18] Siehe zum Beispiel das Diskussionsforum ,Prekäre ProduzentInnen’ auf der Klartext Konferenz in Berlin vom 14.–16. Januar 2005 unter http://www.klartext-konferenz.net/
[19] Siehe Greenpepper Magazine, die Ausgabe über Prekarität (http://www.greenpeppermagazine.org). Danke an die Flaxman Lodge und an Jakob Jakobsen/UKK für die Zusammenstellung von Quellenmaterial im Bereich von Gewerkschaften und Prekarität.
[20] Cultural Policy Collective, Beyond Social Inclusion: Towards Cultural Democracy, 2004 (siehe www.culturaldemocracy.net). Übersetzung: D. Eliass.
[21] Zu Großbritannien, siehe Jowell, Government and the Value of Culture, Mai 2004 (siehe http://www.culture.gov.uk/global/publications/archive_2004) Die Antwort von David Edgar, ,Where’s the Challenge?’ ist zu finden in The Guardian, 22. Mai 2004, wo es heißt: ...[Die britische Kabinettsministerin für Kultur, Sport und Medien] Jowell kommt in ihren Vorstellungen einer neuen sozialen Mission für die Künste unangenehm nahe ... Ausgelassen – wenn nicht sogar negiert – wird in diesem Zusammenhang die provokative Rolle der Kunst. In den letzten 50 Jahren war die Kunst immer wieder sorgsam darauf bedacht, die nationale Identität nicht zu zementieren, sondern sie in Frage zu stellen. Darin führte sie das große modernistische Projekt des ‚Verfremdens‘ weiter, des Störens anstatt zu bestätigen, wie wir die Welt und unseren Platz darin sehen ...
[22] John Pilger, ,The Great Game’ in New Rulers of the World (London: Verso, 2002) S.119.
[23] Dies wurde von Anthony Davies und Simon Ford in ihrer Texttrilogie dokumentiert: Art Capital, Art Futures und Culture Clubs (siehe www.infopool.org.uk) und von Chin Tao-wu in dem Buch Privatising Culture: Corporate Art Intervention since the 1980s (London: Verso, 2002).
[24] Anthony Davies, ;Basic Instinct: Trauma and Retrenchment 2000–04’ in Mute, Ausgabe 29, Winter 2004. Die Zahlen stammen aus einer von Arts & Business durchgeführten Umfrage (siehe http://www.aandb.org.uk/asp/uploads/uploadedfiles/1/618/ab%20reports%20on%20business%20support%20of%20the%20arts.pdf)
[25] Morris Hargreaves McIntyre, Taste Buds: How to cultivate the art market (London: Arts Council England, October, 2004). S. 3. Übersetzung: D. Eliass. (siehe http://www.artscouncil.org.uk/information/publication_detail.php/?browse=recent&id=416)
[26] Siehe Dave Hickey, ,The Birth of the Big, Beautiful Art Market’ in Air Guitar: Essays on Art and Democracy (Los Angeles: Art Issues Press, 1997), S. 65: Zu Beginn der Siebzigerjahre verloren diese ,neuen’ Praktiken jedoch natürlich an Impetus … sie wurden von einer ganzen Reihe von Veranstaltungsorten, von Museen, Kunsthallen und alternativen Räum im ganzen Land übernommen, zunächst als trendy, kostengünstiges Ausstellungsfutter für die Provinzen, dann als ,offizielle, nicht-kommerzielle Anti-Kunst’– als Teil einer puritanischen , großbürgerlich institutionellen Reaktion auf die wachsende ,Ästhetisierung‘ des amerikanischen Handels im Allgemeinen. Für eine Kritik von ,Hickeys Analyse zeitgenössischer Kunst, [die] auf einem mythischen Bild des Marktsystems basiert, welches die Gier der kapitalistischen Akkumulation in Begehren umwandelt; eine natürliche und sogar emanzipatorische Komponente der menschlichen Subjektivität’, siehe Grant Kester, ,The world he has lost: Dave Hickey’s beauty treatment’ in Variant, Band 2, Nummer 18, Herbst 2003, S. 11–12.
[27] Charlotte Higgins & Maev Kennedy, ,Arts funding freeze sparks fury’, The Guardian, Dienstag, 14. Dezember 2004.
[28] Magnus Linklater, ,We all get singed when a quango burns’, The Times, 15. Dezember 2004.
[29] Siehe http://www.culturalcommission.org.uk.
[30] £10,000 p.a. und £25,000 p.a. in den folgenden drei Jahren. Siehe 2004-2006 budgets und das ‘How to Buy Art’ Flugblatt..
[31] Derzeit £50.000 pro Jahr, was kontinuierlich auf £51.500 im Jahr 2006 steigt, das sind 1,3 % des Gesamtbudgets für bildende Kunst (£3.975.935 im Jahr 2006).
[32] Glasgow Art Fair (15.–18. April 2004), AusstellerInnen u.a.: Collective Gallery, The Embassy, EmergeD, Glasgow Sculpture Studios, Lapland, Limousine Bull, Market Gallery, Switchspace und Volume.
[33] ArtLinks Vereinbarung mit den KünstlerInnen aus Sicht der Autorin.
[34] Siehe Ben Slater ,Cube Culture: Exploding the frames of cinema in Bristol’ in Variant, Band 2, Nummer 16, Winter 2002, S. 29–30.
[35. Siehe zum Beispiel Marius Babias, ,Subject Production and Political Art Practice’, in Afterall, No. 9, 2004, S. 101.
[36] Tumino, op cit.
[37] Siehe Fraser, op cit. Sie schreibt über die „Nachkommen‟ der Institutionellen Kritik: Es ist unmöglich, den Wert […] der KünstlerInnen einzuschätzen, deren Arbeit auf der jener [der VerfechterInnen der Institutionellen Kritik] basiert, ohne nicht nur die sichtbaren, visuellen Manifestationen ihrer Praktiken, sondern auch ihre Strategien zu berücksichtigen; nicht nur die künstlerischen Positionen, die sie manifestieren, sondern auch die Positionen, die sie für sich selbst innerhalb des Netzes von Beziehungen aufbauen, welche die Felder ihrer Aktivitäten ausmacht.
[38] Miwon Kwon, ,One Place After Another: Notes on Site-Specificity’, Oktober, No. 80. Frühling, 1997, S. 98.
[39] Graw, op cit, S. 137.
[40] Lind in Spin Cycle, op cit, S. 33. Siehe auch See Maria Lind, ,Learning from Art and Artists’ in Gavin Wade hg. Curating in the 21st Century (Walsall: New Art Gallery & Wolverhampton: University, 2000).
[41] Siehe Kunstverein München Drucksache, Herbst 04 Beilage über kollaborative Praxis.
[42] Jeremy Rifkin, ,Empowering the Third Sector’ in The End of Work: The Decline of the Global Labour Force and the Dawn of the Post-Market Era. (New York: G.P. Putnam’s Sons, 1995), S. 265.
[43] Rifkin, op cit, S. 247.
[44] Siehe Gardar Eide Einarsson, ,Hard Core, self-organization and alternativity’ unter http://www.societyofcontrol.com/coal/einarsson1.htm:: Im Gegensatz zu den meisten der unterschiedlichen Experimente in Alternativität und sich selbst tragenden Systemen in der zeitgenössischen Kunstszene ist es der Hardcore-Szene gelungen, eine funktionierende alternative Szene außerhalb des eher traditionell kommerziellen Musikgeschäftes aufzubauen und zu bewahren. Seit bereits einer beträchtlichen Zahl von Jahren hat sie außerdem die Kontrolle über ihr eigenes Output behalten.
[45] Die Autorin gehörte zu den ersten dreißig Eingeladenen, dies sei im Dienst der Transparenz gesagt.
[46] In Dänemark wurde als Reaktion auf die Politik und Kürzungen der neu gewählten rechtslastigen Regierung im Jahr 2002 die Union of Young Art Workers (UKK) geründet, mit dem breiteren Aufgabenbereich, sich mit der Struktur und der Wahrnehmung der zeitgenössischen Kunst zu befassen und KünstlerInnen eine Stimme in der Politikgestaltung zu geben.
Rebecca Gordon Nesbitt
Nach einer mehr als zehnjährigen Tätigkeit als Kuratorin für zeitgenössische Kunst zog sich Rebecca Gordon-Nesbitt aus einer direkten Partizipation zurück und konzentrierte sich auf die Erforschung der Infrastruktur der Kunstwelt, ihrer Institutionen und Wirtschaftsformen. Dies führte zu ihrer Untersuchung der Privatisierung des Kulturangebots in Glasgow (http://www.shiftyparadigms.org) und zur Hinterfragung des Konzepts der ,kreativen Stadt’, das der Rhetorik der Kreativindustrien zugrunde liegt. Sie wird ihre Untersuchung im Rahmen ihrer Position als Researcher-in-Residence am Centre for Contemporary Art in Derry während des UK City of Culture Jahres 2013 erweitern. Auf der Suche nach Alternativen zur Kulturpolitik des Neoliberalismus führte sie ihre Doktorarbeit nach Kuba (http://www.tandfonline.com/action/showAxaArticles?journalCode=gcul20). Deren Ergebnisse werden im Rahmen der Arbeit To Defend the Revolution is to Defend Culture: The Cultural Policy of the Cuban Revolution publiziert.