Einen regelrechten Hype erlebten in Wien von KünstlerInnen selbstorganisierte Initiativen Ende der Nullerjahre. Projekträume oder Kunstvereine wie „Clubblumen“ „Coco“ „Saprophyt“ „Ve:sch“, „Magazin“ oder die Kunstaktionen des „fluc“ wirkten und wirken sich äußerst stimulierend auf die Kunstproduktion und das Leben vor Ort aus, erzeugten neue Öffentlichkeiten für Kunstaktivitäten. Die Produktion von alternativen/urbanen Räumen ist nach wie vor eines der Hauptkonzepte der Kunstprojekte im „fluc“, die von Walter Seidl, Martin Wagner und Ursula Maria Probst (mir selbst) realisiert werden. Neben dem Entgrenzen gängiger Kunstbegriffe bildete das Mitgestalten urbaner Soziotope einen wesentlichen Aspekt, der über Charakteristiken eines Ausstellungsraumes oder eines kulturellen Wohnzimmers hinausging. Mittlerweile befindet sich die Szene im Umbruch und in einem Prozess der Umstruktierung, Initiativen wie „Coco“, „Magazin“ oder „Saprophyt“ arbeiten nun projektbezogen und beendeten oder beenden gerade ihre regelmäßige Ausstellungstätigkeit und ihr Arbeiten an neuen Ausstellungskonzepten in den von ihnen ursprünglich vorgesehenen Räumen. Stattdessen öffnen andere KünstlerInnen wie beispielsweise das „Expograph“ ihre Atelierräume oder stellen wie Diana Lambert oder Nora Rekade ihre Wohnung für Ausstellungen zur Verfügung. Oder eine Künstlercommunity rund um „L’Ocean Licker“ adaptiert passagenartige Durchgänge am Praterstern, während das „Mauve“ oder die „Schneiderei“ sich auf leerstehende Räume beziehen. Gemeinsam ist diesen verschiedenen Initiativen, dass sie sich als Plattform und Experimentierfeld für KünstlerInnen verstehen und Kooperationen mit KuratorInnen und anderen Kunstvereinen forcieren, den Dialog und die Kommunikation suchen und – anders als etablierte Kunstinstitutionen oder museale Einrichtungen – sich nicht hermetisch voneinander abgrenzen. Die „Kulturdrogerie“ beweist in ihren Aktivitäten Kontinuität. Eine ehemalige Drogerie in der Gentzgasse 86–88 im 18. Bezirk Wien Währing dient hier seit 2005 als Gedanken- und Versuchswelt für künstlerische Arbeiten. Neben den Ateliers von Franz Brunnerund Markus Hiesleitner steht der ehemalige Verkaufsraum des Ladenlokals als experimenteller Raum und Versuchsstation für Ausstellungen, Konzerte und Performances zur Verfügung.
Obwohl der Begriff „Off-Space“ oder „Alternativ-Space“ seit den 1970er Jahren von der illegalen, subversiven Hausbesetzung bis zur kommunal subventionierten Zwischenraumlösung kontextbezogen unzählige Umcodierungen durchlaufen hat, mangelt es nach wie vor an einer adäquaten Begrifflichkeit, mit der institutionellen Verwertungslogiken begegnet werden kann. Artist-run spaces oder „alternative spaces“ verfügen meistens über den Vorteil, flexibel agieren zu können. Kurzfristige Planungsabläufe sind allerdings auch eine Folge der Ungewissheit darüber, ob für die Projekte Fördergelder im Form von Subventionen durch Staat und Kommune auch im Folgejahr zur Verfügung gestellt werden. An privaten Sponsoren mangelt es nach wie vor. Unabhängig von kulturökonomischen Masterplänen signalisieren die regen Aktivitäten von KünstlerInnen und Kunstvereinen und deren Bespielung von leeren Geschäftslokalen, Kellergeschossen, Wohnungen, Fabriken, Verwaltungsgebäuden oder Marktgeländen quer durch die Stadt, welches Potential, aber auch welcher Bedarf an Ausstellungsmöglichkeiten existiert. Dabei fällt die Wahl auch auf Orte, die normalerweise weniger im Fokus der Öffentlichkeit oder der medialen Aufmerksamkeit von Kunst liegen. Im Unterschied zum aufgeblasenen Betriebssystem von Kunstinstitutionen, deren Abhängigkeit von Subventionen, Sponsoren und Quoten sowie dem ökonomischen Vertriebssystem von Galerien und Kunstmarkt basieren unkommerzielle Projekträume meist auf Eigeninitiativen von KünstlerInnen, ArchitektInnen oder freischaffenden KuratorInnen. Als Non-Profit-Organisationen verfügen sie über jenen Spielraum zur Spontaneität und Improvisationslust, der den behäbigen Apparaturen von Institutionen oft fehlt. Anders als Galerien treten Off-Spaces nicht geballt in zentralen Vierteln der Stadt auf, sondern, singulär verstreut. Auch wenn es für die Miete oder Projektabwicklung häufig kommunale oder staatliche Subventionen gibt, agieren die OrganisatorInnen zumeist selbst unentgeltlich oder erhalten eine geringe Aufwandsentschädigung. Vom Risikounternehmen Galerie unterscheiden sich diese Projekträume dadurch, dass die KünstlerInnen selbst Organisation, Pressearbeit, Aufbau und Networking übernehmen – also enthierarchisiertes Multitasking betreiben. Eine wichtige Motivation bildet dabei das Verlangen, die Inhalte und relevante Kunstbegriffe mitzubestimmen und gegen Mangelerscheinungen und Defizite aktiv zu werden sowie den Bedarf nach gesellschaftspolitischem Diskurs selbst in die Hand zu nehmen.
In Wien wird produziert, diskutiert, debattiert und ausgestellt. Es existiert ein Tempo, das Reflexionen zulässt, überblickbarer ist als in Berlin und weniger hektisch als in New York oder London und dennoch die Kunst vorantreibt, den Atem beschleunigt, immer wieder Staunen läßt über die dadurch freigesetzten Energien. Internationale KünstlerInnen aus Bulgarien, der Türkei, Kanada, China, Japan, Korea oder den USA haben sich in Wien angesiedelt. In den vergangenen fünf Jahren ist Wien zu einer angesagten Kunstmetropole avanciert. Die damit einhergehenden Chancen blieben teilweise jedoch ungenützt. Wien hätte zwar das Potenzial zur Kulturhauptstadt Europas, doch wie die jüngste Vergangenheit zeigt, unterliegt dieses Image noch immer Schwankungen, denn kulturpolitisch wird auf die gebotenen Gelegenheiten und Möglichkeiten nicht adäquat reagiert. Anstatt Strukturen für eine Kontinutität zu schaffen, werden ProjektraumbetreiberInnen noch immer als BittstellerInnen behandelt bzw. in ihren Anliegen ignoriert. Seit Mitte der Nullerjahre hat in Wien ein noch immer andauernder Selbsterneuerungsprozess der lokalen Kunstszenen eingesetzt.
Während die Wiener Galerien durch das kooperative Projekt „curated by“ Unterstützung von der kommunal eingerichteten Agentur „departure“ bekommen, gibt es nach wie vor trotz wiederholter Ankündigungen anders als in Berlin oder in London keine funktionierende Agentur für Zwischenraumnutzungen in Wien. KünstlerInnen, KuratorInnen oder SammlerInnen, die gerne einen Raum mit Ausstellungen oder Performanceprojekten bespielen möchten, sind auf sich selbst gestellt. Damit die Kosten gering oder leistbar bleiben, finden derzeit wieder, wie schon angesprochen, vermehrt Veranstaltungen in privaten Ateliers und Wohnungen statt. Der Austausch mit anderen wird auch deswegen gesucht, weil damit den eigenen Aktivitäten eine inhaltiche Plattform geboten werden soll. Dahinter steckt die durchaus pragmatische Entscheidung, den eigenen künstlerischen Diskurs voranzutreiben, dessen Wertnomenklatur mitzubestimmen und ein internationales Netzwerk zu spannen. Die Vereinigung Lafin C’estmerde sieht sich als Vermittlerin zwischen zeitgenössischen Positionen und der Öffentlichkeit und bezweckt die Förderung und Vernetzung weiblicher KulturproduzentInnen aller Sparten im nationalen und internationalen Kunstbetrieb. Gegründet wurde die Vereinigung von den MedienkünstlerInnen Suzie Léger, Isabella Kohlhuber, Evelyn Loschy, Verena Duerr und Katharina Swoboda. Ihre Intention ist es, leerstehende Räumlichkeiten in Wien temporär als Arbeitsmöglichkeiten zu nutzen und als Veranstaltungsorte zu bespielen. Im Moment befindet sich die Vereinigung in einer leeren Altbauwohnung in der Jörgerstraße 17, im 17. Wiener Gemeindebezirk. Die „Temporäre Autonome Zone“, die im Herbst 2012 ins Leben gerufen wurde, war außerdem eine unabhängige, experimentelle Ausstellungsplattform, die von Lisa Ruyter mit ff realisiert wurde, einer Gruppe internationaler Künstlerinnen, die sich regelmäßig treffen und gemeinsam an feministischen Projekten arbeiten.
In den vergangenen fünf Jahren hat Wien sein internationales Profil durch den Zustrom internationaler KünstlerInnen und KuratorInnen geschärft, dennoch gibt es in der Stadt ein Kommen und Gehen.
Wien empfängt internationales Kunstklientel mit offenen Armen.
Private und institutionelle Artist-in-Residence Programme leisten dazu einen wichtigen Beitrag.
Ursula Maria Probst lebt und arbeitet in Wien. Sie ist freie Kuratorin, Kunstkritikerin, Künstlerin, Kunsthistorikerin und hat wissenschaftlich über und mit Louise Bourgeois, New York, gearbeitet. Lehraufträge, Workshops, Vorträge u.a. an der Kunstuniversität Linz, Akademie der Bildenden Künste Wien, Universität für Angewandte Kunst Wien, Konferenz Kunst Stadt Berlin. Kunstkritikerin (u.a. für Kunstforum International, Spike, Modern Painters, dérive, artmagazine, Umelec, Springerin, Standard), Katalogtexte für KünstlerInnen. Mitinitiatorin des Kollektivs Female Obsession, DJ-Performances. Ausstellungsprojekte u.a. für Fluc Wien, Vienna Art Week, Kunstraum Niederösterreich, k/hausWien, Projekte für KÖR, Kunst im öffentlichen Raum NÖ, EuropART. Teilnahme an Invisible Play, Istanbul.
Kuration: u.a. 2012: Predicting Memories (mit Robert Punkenhofer), Vienna Art Week; Andere Blicke, andere Räume, k/haus Wien; Projekt 012, Vesch Wien; In der Kubatur des Kabinetts (mit Martin Wagner, Projektrealisierungen seit 2002), Fluc Wien; 2011: Jadwiga Sawicka, KÖR Wien; Reflecting Reality (mit Robert Punkenhofer), Sigmund Freud Museum; 2010: Mit uns ist kein (National)Staat zu machen (mit Walter Seidl), Kunstraum NÖ; Crosssing Limits, Art in Urban Transitions, Vienna Art Week; STATUS QUO VADIS, Kunst im öffentlichen Raum NÖ; Melk In Passing 1-16, k/haus Wien (wird weiter fortgesetzt); Urban Signs-Local Strategies, Kunst im öffentlichen Raum (mit Martin Wagner und Walter Seidl), Fluc Wien; 2007: Artmapping 1-2, Fluc Wien; 2006: EuropART (mit Walter Seidl); 2005: The Sound of your Eyes, k/haus Wien; 2004: Born to be a Star, k/haus Wien.