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Eigentümer, Verwalter und angeblich nutzlose Forderungen

Özge Ersoy »


Übersetzung aus dem Englischen: Tom Waibel

Letztes Jahr hat mich die Kuratorin und Autorin Ceren Erden eingeladen, einen Text über private Museen an den neuen Knotenpunkten der zeitgenössischen Kunstwelt für das ArteEast Quaterly zu verfassen, einer Publikation, der es darum geht, die feldspezifische Ausdrucksweise über den Mittleren Osten umzugestalten. Dieser Auftrag entstand aus unseren Gesprächen über die Rolle, die wir als Fachleute bei der Gestaltung neuer Infrastrukturen an unseren Schauplätzen spielen könnten. Cerens Aufgabe als Gastherausgeberin von „Noch einmal: Die Geschichten von Vergangenheit und Zukunft erneut erzählen“ bestand in der Untersuchung der Vorstellungen von Gedächtnis, Amnesie und Subjektivität in der Welt nach 1989, in der es ein zunehmendes Bedürfnis nach neuen Strategien und Fragen als Ersatz für untergehende Kategorien und Narrative gibt.

Meine Antwort auf Cerens Einladung nahm ihren Ausgang von einem Redaktionsprojekt, das ich 2010 betrieb – „Womit beginnen: Die Vergegenwärtigung der Auswirkungen von Guggenheim Abu Dhabi“. In diesem Projekt stellte ich gemeinsam mit fünf AutorInnen die Frage, ob die neuen, groß angelegten Kunstmuseen im Mittleren Osten nur symbolischem Kapital entsprechen, oder ob sie möglicherweise neuen strukturellen Halt bieten können. Ungeachtet der aufwändigen Strategien der Öffentlichkeitsarbeit argumentierte ich, dass die in Entwicklung befindlichen Museumssammlungen das Potenzial haben, die jüngsten umkämpften Erzählungen, die darauf warten, kanonisiert zu werden, neu zu bestimmen. An Orten, wo es nur sehr wenige etablierte Sammlungen aus dem letzten Jahrhundert gibt, haben die neuen Museen das Vermögen, die Vorstellung einer sogenannten „Nachträglichkeit“ im Bezug auf die westlichen kunstgeschichtlichen Kanons ins Wanken zu bringen, und darin könnte sich das emanzipatorische Potenzial von nicht-kanonisierten Erzählungen erweisen. Diese Möglichkeit zur Neugestaltung von gemeinsamen visuellen Geschichten ist nur denkbar, wenn es eine laufende Verhandlung darüber gibt, in welcher Weise diese Museen „öffentlich“ sind.

Das ist gewiss eine brisante Frage an Orten wie der Türkei, wo alle Museen für zeitgenössische und moderne Kunst privat initiiert und geleitet werden, (das einzige staatliche Museum für Malerei und Plastik ist noch immer geschlossen). Öffentlichkeit lässt sich bestimmen als den Akt, eine Sammlung der Allgemeinheit zugänglich zu machen, oder im Bezug auf die Ideale von institutioneller Transparenz und Verantwortlichkeit. Doch das sine qua non des Öffentlich-machens besteht darin, dass beteiligte Personen einen Besitzanspruch an öffentlichen Gütern anmelden und die Institutionen, einschließlich der privaten, für rechtmäßige und ethisch korrekte Besitzverhältnisse, Sorgfalt, Zugänglichkeit und verantwortungsvolle Weitergabe zur Rechenschaft ziehen. Das würde bedeuten, eine aktive Rolle in den laufenden Debatten über den institutionellen Sammlungsaufbau einzunehmen, einem Prozess, in dem sich zahlreiche private Organisationen derzeit befinden.

Anfang Februar dieses Jahres wurde das öffentliche Vertrauen in ein privates Museum für moderne und zeitgenössische Kunst erschüttert, als eine Privatuniversität in Istanbul sich dafür entschied, Teile ihrer Museumssammlung in einer Auktion zu versteigern, ohne die KünstlerInnen oder die StifterInnen zu benachrichtigen, oder gar um Einverständnis zu bitten. Die Sammlung Santralistanbul der Universität Istanbul Bilgi wurde 2007 eröffnet und umfasst über 150 Werke von bekannten KünstlerInnen wie etwa Yüksel Arslan, Sarkis Zabunyan, Nil Yalter oder Nejad Melih Devrim, nebst zahlreichen anderen. Die online-Petitionen forderten, dass die rund 60 zur Auktion vorbereiteten Werke, die entweder vom Museum angekauft oder diesem gestiftet wurden, im öffentlichen Eigentum verbleiben sollten. Das Ziel bestand darin, eine Wertedebatte zu entfachen, und eine informierte öffentliche Meinung über die willkürliche Entscheidung des Museums zu schaffen, einen bedeutenden Teil seines Bestandes zu entfernen und damit seine Aufsichtspflichten zu vernachlässigen. Was bedeutet letztlich der Besitz eines Kunstwerks, das Teil einer Museumssammlung ist? Worin besteht der schmale Grat zwischen den EigentümerInnen und den VerwalterInnen solcher Kunstwerke?

Angesichts des zunehmenden Trends, private Sammlungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, liegt die Schluss nahe, dass in den kommenden Jahren ähnliche Beispiele von eiligen Verkaufsentscheidungen folgen werden. Während das Interesse am Öffentlich-machen zunimmt, fehlen in privaten Museen und Firmensammlungen für moderne und zeitgenössische Kunst noch immer grundlegende Verordnungen und Regulierungen für den Verkauf. Oğuz Özerden, der Mitbegründer von Santralistanbul, stellte einer Zeitung gegenüber im Hinblick auf Bilgis Entschluss, einen großen Brocken der Sammlung Santralistanbul zu versteigern, fest: „Ich verstehe das nicht… Als wir diese Werke ankauften, wurden sie im Museumsinventar als Allgemeingüter registriert. Und sie wurden tatsächlich jedes Jahr inspiziert. Aber ich vermute, dass sie über eine Genehmigung verfügen, um die Werke zu verkaufen.”[1] In den folgenden Tagen veröffentlichte das Auktionshaus auf ihrer Website ein von der Kultur- und Tourismusdirektion Istanbuls ausgestelltes Dokument, demzufolge keine rechtlichen Hindernisse vorliegen, um die erwähnten Werke zu versteigern.[2] Eine solche Genehmigung ist nicht überraschend, da die türkische Gesetzgebung von Museen nur dann eine Inventarisierung verlangt, wenn die gesammelten Objekte gesetzlich als Kulturerbe gelten, d.h. älter als 100 Jahre sind. Die Zielsetzungen und Kriterien von Verkäufen in Museen moderner und zeitgenössischer Kunst sind in der Türkei nicht schriftlich festgelegt. Es besteht keinerlei rechtliche Regelung, die etwa bestimmt, dass Verkauf „nur gerechtfertigt ist, um die Qualität oder die Zusammensetzung einer Sammlung zu verbessern.“[3] Diese Gesetzeslücke bringt mich zu meinem vorherigen Argument zurück: Wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht ausreichen, dann sollten die Gespräche auf der Ebene ethischer Normen fortgesetzt werden, die fortwährend überprüft und aktualisiert werden müssen.

Es war ebenso wenig überraschend, dass die Forderungen und Proteste gegen den Auktionsbeschluss der Universität als Gezeter abgetan wurden. Scharfe Kritiken gegen KünstlerInnen wurden laut, weil sie nicht von vornherein Verkaufsverträge eingefordert hatten, die ihre Werke vor solchen Verkäufen bewahrt hätten. Das Vertragsproblem ist typisch für die aktuelle Lage in der Türkei, in der lebende KünstlerInnen gespannte Erwartungen in zukünftige Museen für zeitgenössische Kunst setzen – einem schnell wachsenden Feld, in dem jetzt versucht wird, die jüngsten künstlerischen Produktionen zu historisieren. Dabei sehen die KünstlerInnen spätere Zweitverkäufe oder die Auflösung von Sammlungen, die derzeit gerade entstehen, nicht zwangsläufig voraus. Der Vorfall von Santralistanbul zeigt deutlich, dass den Verkaufsverträgen eine bedeutende Rolle zukommt in der Neuformulierung der Rechte von KünstlerInnen an den eigenen Werken, die den Kunstmuseen anvertraut wurden. Doch die noch zu verbessernde Vertragssituation ist weit davon entfernt, die Verantwortlichkeiten von Museen gegenüber Kunstwerken aufzuklären.

Manche KritikerInnen behaupteten, dass die Werke in privaten Händen besser aufgehoben seien, da sie in den Museumsdepots nicht sorgfältig behandelt würden. Oder sie sagten, dass die Öffentlichkeit kaum mehr Zugang zu den Werken habe, da das Museum trotz gegenteiliger Forderungen seine Ausstellungsräume reduziert hat. Dieses pragmatische Argument ignoriert aber wissentlich, worin die Aufgabe des Museums angesichts seiner grundlegendsten Voraussetzung und Versprechung bestanden hätte – darin, Mittel und Wege zu einer guten Verwaltung zu finden und die Sammlung durch die Schenkung von Kunstwerken an andere institutionelle Sammlungen öffentlich zugänglich zu halten, anstatt sie aufzulösen, um Kapitalreserven für die Universität anzulegen.

Andere wiederum sagten, dass die Universität alle rechtlichen Anforderungen erfüllt habe und der Protest daher nur ein nutzloser Versuch war. Einige Untergangspropheten meinten, dass alles immer schlimmer werde, da die Privatisierung der Bildungs- und Kunstinstitutionen stets weiter voranschreite. Manche der KünstlerInnen, mit denen ich Gespräche führte, waren der Ansicht, dass die Energie, die in diese Debatte gesteckt wurde, besser zur Anbahnung von Kleinprojekten genutzt werden sollte, um Atemluft für vergleichbare Debatten zu gewinnen, denn die Auseinandersetzung mit den Großinstitutionen sei bereits verloren. Aber ich bin davon überzeugt, dass dringender Bedarf daran besteht, die privaten Kunstmuseen im Auge zu behalten. Das geschieht nicht aus dem naiven Glauben, die Mentalitäten und/oder Strategien würden sich über Nacht verändern. Die Dringlichkeit besteht vielmehr darin, alle Kunstinstitutionen daran zu erinnern, dass der Besitz von Kunstwerken mit einer Verantwortung gegenüber KünstlerInnen, Kunstwerken und der allgemeinen Öffentlichkeit einhergeht. Das wiederum wird nur möglich, wenn wir öffentlichen Besitzanspruch auf unsere eigene aktuelle Geschichte erheben und damit die Sammlungen der Museen zeitgenössischer Kunst, und zwar sowohl die staatlichen als auch die privaten Initiativen, zu öffentlichen Gütern erklären.


[1] http://www.radikal.com.tr/radikal.aspx?atype=radikaldetayv3&articleid=1119625&categoryid=41

[2] http://www.mackamezat.com/tr/muzayede/muzayede-17-subat-2013

[3] http://cimambeta.org/archives/principles-of-deaccession/


Özge Ersoy

Özge Ersoy lebt und arbeitet als Kuratorin und Autorin in Istanbul. Ihre Forschungsinteressen liegen zwischen künstlerischen Infrastrukturen und künstlerischer Produktion. Ersoy ist Programmmanagerin von collectorspace, einer Nonprofit-Organisation aus New York und Istanbul. Sie ist außerdem Chefredakteurin des auf KünstlerInnen fokussierten Online-Magazins m-est.org. Ersoys Texte wurden u.a. in Modern Painters, ArteEast Quaterly, Domus, Bidoun, Nafas und dem Magazin der Society of Architectural Historians veröffentlicht. 2010 produzierte sie das Buch und produzierte es „How to Begin? Envisioning the Impact of Guggenheim Abu Dhabi.“ Ersoy ist Inhaberin eines BA-Abschlusses in International Relations von der Bogazici University und Binghamton University sowie eines MA-Abschlusses in Curatorial Studies vom Bard College.




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